Posts from — September 2014
Wie ich einmal versäumte, einen Engel anzulächeln
Die Frau ist älter als ich, kleiner und viel zierlicher. Ihr pflegeleichter Kurzhaarschnitt – sie hat feuerrotes Haar, sitzt über ihrem fragilen Antlitz, das noch Überreste einer Kleinmädchenschönheit aufweist, wie ein Helm. Ihre resolute, dabei aber immer fröhliche und kommunikative Auftretensweise zeugt von ihrer bewundernswerten stabilen Seelenlage.
Neben ihr ein ebenso rothaariger junger Mann, vielleicht Zwanzig oder Mitte Zwanzig. Ich schwimme an ihm vorbei. Er lächelt selig. Dass er nicht untergeht, verdankt er dem mit Luft gefüllten Schwimmreif, in dem er sitzt. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen, das Lächeln ist mir ein wenig zu offensiv. Gleichzeitig erkenne ich, dass der junge Mann nicht aus Spaß in diesem Reif sitzt – er kann nicht schwimmen. Also scheint es sich um eine Art Behinderung zu handeln. Den äußersten Rand des Außenschwimmbeckens mit Panoramablick ziert ein riesiger Steinengel ohne Kopf. An den Außenseiten seiner Flügel sind Befestigungen wie eine Art Holzrahmen angedeutet. Er ist ganz grau. Weil ihm der Kopf fehlt, kann man nicht wissen, ob der Engel gerade lächelt wie der junge Mann oder zornig drein schaut. Die Flügel sind jedenfalls aufgeschlagen – und zwar für die Ewigkeit.
Etwas später sehe ich die zarte ältliche Frau und ihren jungenhaften Sohn unter der Dusche stehen. Er bewegt sich nicht. Die Arme ausgebreitet wie die Statue draußen am Becken ihre Flügel, lässt er sich abtrocknen. Dabei lächelt er mich an, als ich aus dem Wasser komme. Kein Laut steigt von ihm auf. Er gurrt nicht, summt nicht, er lallt nicht. Das ist eine merkwürdige Behinderung, denke ich. Wie erstarrt zu sein, keinerlei Antrieb zu haben, nichtmal, um sich abzutrocknen. Dabei dieses unbestechliche, unwiderstehliche, seliglich-ewige Lächeln. Er hat kein Down-Syndrom, seine Züge sind regelmäßig und klar konturiert. Menschen, die mit Down-Syndrom leben, gelten als ähnlich liebenswert und freundlich. Wenn nicht irgendetwas ihren Unwillen erregt.
Ich denke mir banale Sätze wie „Arme Frau, wer wird s i e einmal pflegen, wenn sie zu alt ist?“ oder „Ja, lächel nur, sieht ganz nett aus, wie du dich an allem freuen kannst, aber wahrscheinlich kannst du auch ganz schön ausflippen, wenn mal was nicht passt.“
Über diese Gedanken, und weil ich mit mir selbst, meiner Situation, den Schwierigkeiten derzeit und Herausforderungen beschäftigt bin, vergesse ich, zurückzulächeln.
Die letzte Chance erhalte ich beim Abendessen. Er sitzt nur da, vor dem schön gedeckten Tisch im Speiseraum, neben ihm seine Mamma, sieht mich vorbeigehen, und lächelt mich an. Ich bin gerade von irgendwas genervt, obwohl ich es nicht sein bräuchte. Ich schaue, ziehe die Augenbrauen zusammen, und stürme eiligen Schrittes und viel zu beschäftigt, vorbei.
Danach denke ich darüber nach, wieso ich nicht offen genug war, einfach zurück zu lächeln, an den Tisch zu treten und der Mamma und ihm ein paar liebe Worte zu sagen. Nichts Großes – etwas wie „Haben Sie einen schönen Abend miteinander!“ oder „Lassen Sie es sich schmecken!“ oder „Ihr Sohn hat ein bezauberndes Lächeln, er kommt mir vor wie ein Engel auf Erden!“
Den Rest des Abends denke ich über die verpasste Gelegenheit nach und darüber, warum ich nicht entspannt genug war, genau das zu tun, was ich gerne getan hätte.
Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wächst die Gewissheit, dass dieser junge Mann wirklich ein Engel ist.
Und Engel wissen fast alles.
Also weiß er auch, dass ich so gern zurückgelächelt hätte und wieso ich einfach nicht konnte.
Aber dennoch, falls euch das einmal passiert – macht nicht den gleichen Fehler wie ich.
Herabgestiegene Engel sind sehr rar auf dieser Welt – behandeln wir sie sorgsam und geben gemeinsam auf sie Acht.
September 24, 2014 No Comments
Uwe Postls Rezension des „Farnese-Komplott“ für die Una Voce Korrespondenz
ist jetzt auch online nachlesbar.
>>Eine Krimirezension verrät niemals den Täter. Diese doch: Schwester Immacolata war’s. Barbara Wenz deutet bereits im Prolog an, daß nicht heiteres Täterraten dramaturgisches Band des Farnese-Komplott sein wird. Nach einer Seite nur bricht diese Ordensfrau einem Schwerstverwundeten das Genick und zwei Zeilen später weiß der Leser auch: im Auftrag eines Farnese.
(…) Doch gleich im erst düsteren, dann aktionsreichen Auftakt zeigt sich, daß Barbara Wenz einen erzählerisch ambitionierten wie auch mehrschichtigen Roman intendiert – es wird ihr weitestgehend gelingen.
(…) Ein wohltuender Kontrast zu all den Vatikanromanen, die allzugern nur verzerrende Klischees und gängige Falschurteile über Kirche und Vatikan, Klerus und Glauben feilbieten.
(…) An gegenwärtiger Kunst und Literatur, die man mit Fug und Recht katholisch nennen kann, mangelt es schmerzlich, erst recht an Belletristik. Zugriff!<<
Hier geht es zu der gesamten, wunderschön geschriebenen Besprechung für UVK 3. Quartal 2014.
September 17, 2014 No Comments
Die Lorica des heiligen Patrick
[via Evangelium Tag für Tag]
Hl. Patrick (um 385 – um 461), Mönch und Missionar, Bischof
Heute gürte ich mich mit der mächtigen Kraft der Anrufung der Dreieinheit, des Glaubens an den einen und dreieinen Gott, den Schöpfer des Universums.
Heute gürte ich mich mit der Kraft der Menschwerdung Christi und seiner Taufe, mit der Kraft seiner Kreuzigung und seiner Grablegung, mit der Kraft seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt, mit der Kraft seiner Wiederkunft am Tag des Gerichts.
Heute gürte ich mich mit der Kraft der Liebe der Seraphim, des Gehorsams der Engel, des Dienstes der Erzengel, in der Hoffnung auf die Auferstehung im Hinblick auf den himmlischen Lohn, mit den Gebeten der Patriarchen, den Prophezeiungen der Propheten, der Predigt der Apostel, der Treue der Bekenner, der Unschuld der heiligen Jungfrauen, gürte ich mich mit Taten aller Gerechten.
Heute gürte ich mich mit der Kraft der Himmel, mit dem Licht der Sonne, mit der Klarheit des Mondes, mit dem Schein des Feuers, dem Leuchten des Blitzes, mit der Schnelligkeit des Windes, mit der Tiefe des Meeres, mit der Standfestigkeit der Erde, mit der Härte der Steine.
Heute gürte ich mich mit der Kraft Gottes, um mich leiten zu lassen, mit der Macht Gottes, um mich halten zu lassen, mit der Weisheit Gottes, um mich unterweisen zu lassen, mit dem Augen Gottes, um mich behüten zu lassen, mit dem Ohr Gottes, um zu hören, mit dem Wort Gottes, um für mich zu reden, mit der Hand Gottes, um mich führen zu lassen, mit dem Weg Gottes, um mir voranzugehen, mit dem Schild Gottes, um mich zu beschützen, mit den Waffen Gottes, die mich den Fangnetzen der Dämonen, der Verführungen durch die Sünden, den Neigungen der Natur und all jener, die mir Böses wollen, entreißen wollen…
Christus mit mir, Christus vor mir, Christus hinter mir, Christus in mir, Christus unter mir, Christus über mir, Christus mir zur Rechten, Christus mir zur Linken, Christus wenn ich aufstehe, Christus wenn ich schlafen gehe, Christus in jedem Herzen, das an mich denkt, Christus in jedem Mund, der mit mir spricht, Christus in jedem Auge, das mich anschaut, Christus in jedem Ohr, das mich hört.
Heute gürte ich mich mit der mächtigen Kraft der Anrufung der Dreieinheit, des Glaubens an den einen und dreieinen Gott, den Schöpfer des Universums.
[Lorica oder auch Lorica-Gebet ist eine ursprünglich aus vorchristlichen religiösen Traditionen stammende Art des Segens- bzw. Schutzgebets. Der Begriff Lorica ist Lateinisch und bedeutet eigentlich Panzerung bzw. Brustpanzer. Mit diesem Begriff soll ausgedrückt werden, dass die Worte des Gebets wie ein Panzer vor allem Bösen schützen sollen.
Vor allem im keltischen Christentum bzw. der keltischen Kirche wurde die Lorica als Gebetsform gepflegt. Formal ist die Lorica als Hymne gestaltet und stellt daher eigentlich ein Schutzlied dar. Am bekanntesten ist die Lorica des heiligen Patrick. In Irland wird diese Lorica am Patrickstag sowohl bei der heiligen Messe als auch während der Parade gesungen. Der Überlieferung nach sollen der Heilige Patrick und seine Anhänger dieses Gebet auf ihrem Weg nach Tara zum König Laoghaire gesungen haben. Weniger bekannt ist dagegen die sog. Klosterneuburger Lorica. /zitiert von Wikipedia ]
September 13, 2014 2 Comments
Die „terra dei santi“ und ihr lächelnder Stern – Nikolaus von Tolentino und sein Heiligtum
[Zuerst erschienen im Vatican-Magazin Ausgabe Juni/Juli 2010]
Das Festungsstädtchen Tolentino bildet mit Osimo, wo der hl. Joseph von Copertino begraben liegt, Loreto mit dem Heiligen Haus aus Nazareth, dem unweit gelegenen Assisi, Cascia, Montefalco und zahlreichen anderen Orten eine terra dei santi aus den mittelitalienischen Provinzen Le Marche und Umbrien.
Tolentinum picenum, so lautete der alte Name des Städtchens am Chienti-Fluss, dem ehemaligen Siedlungsgebiet der alten Picener. Tolentino besaß bereits einen zuverlässigen Stadtheiligen, den Märtyrer Flavius Julius Catervus, aus einer vornehmen Senatorenfamilie, der unter Trajan die Tolentiner Bevölkerung christianisiert habe, weshalb er den Märtyrertod sterben musste.
Betritt man die Altstadt, so empfängt den Besucher und Pilger bereits direkt bei der Stadtpforte die antikisierend wiederaufgebaute Kirche S. Catervo, in welcher der beeindruckend Marmorsarkophag des Catervus aus dem 4. Jahrhundert aufbewahrt wird, der zu den künstlerisch bedeutendsten der Region zählt. Ihn zieren die Darstellungen vom Guten Hirten und von der Anbetung der Drei Könige.
Catervus ist heute der gatekeeper des Herzstücks von Tolentino: der Basilika des heiligen Nikolaus, dessen Travertin-Fassade von einem riesigen strahlenden Stern geschmückt wird. Der Stern, so heißt es, hat den Heiligen in den letzten Jahren seines Lebens begleitet. Er stieg über seinem Geburtsort, Castel S. Angelo, auf, wanderte über den Himmel und blieb immer über der Basilika stehen, wenn Nikolaus die Heilige Messe feierte.
Castel S. Angelo, unweit von Tolentino, ist der Ort, an dem diese Geschichte beginnt. Genau genommen beginnt sie im viel weiter südlich gelegenen Bari, denn die Eltern unseres Heiligen, kinderlos bislang, unternahmen eine Wallfahrt zum heiligen Nikolaus nach Bari, ihn um die Gnade eines Kindes zu bitten. Selbstverständlich boten die einfachen Leutchen dem großen Heiligen eine Gegenleistung an: Ordensmann oder Ordensfrau – ein Geschenk an die Kirche solle das ersehnte Kind einmal werden. Der Bischof von Myra fand diesen deal so fair, dass er ihren Wunsch 1245 erfüllte und gleich noch ein Sahnehäubchen drauf setzte: Aus seinem „Patenkind“ sollte einer der beliebtesten und geliebtesten Heiligen der italienischen Kirche werden.
Das 13. Jahrhundert hat der Kirche zahlreiche Kirchenlehrer und Theologen, charismatische und entschiedene Bischöfe, und so große Heilige wie Franziskus von Assisi geschenkt. Thomas von Aquin, Bonaventura, Albertus Magnus lehrten an den aufblühenden Universitäten, Mechthild von Helfta empfängt ihre Visionen, die Kreuzzüge sind endgültig gescheitert. Es ist das letzte Aufglühen vor den einsetzenden Wirren und dem Verfall von Papsttum und Kirche im 14. Jahrhundert mit dem großen abendländischen Schisma. Wie der Stern, der ihn begleitete, und den man häufig auf seiner Brust abgebildet sieht, strahlt unser Nicola noch in dieses dunkle Jahrhundert hinein, als wollte er denen, die treu im Glauben stehen, ein Licht in der umfassenden Finsternis sein, die die Kirche zu überwältigen drohte.
Große persönliche Frömmigkeit zeichnet jeden Heiligen der katholischen Kirche aus, bei Bruder Nicola kamen von klein auf Herzensgüte, Mitleidensfähigkeit und große Demut hinzu.
Es ließ sich allerbestens an: Mit 15 Jahren trat der fromme Knabe sein Noviziat im Augustinerkonvent an und bereits in diesem zarten Alter erwies er sich als „stark in den Prüfungen, tüchtig in den Tugenden und heroisch in der Buße“.
Nach seiner Priesterweihe durch den Bischof von Osimo und Cingoli im Jahre 1270 wurde er in einen Konvent bei Pesaro versetzt. Feierte er die Messe, so liefen ihm jedes Mal Tränen über das Gesicht, vor allem bei der Wandlung, weshalb das Volk herbeiströmte, um Zeuge seiner Ergriffenheit und Hingabe zu werden.
Seine ganze Hinwendung galt nicht nur den Kranken und reuigen Sündern, sondern insbesondere den Armen Seelen, die auf Erlösung aus dem Fegefeuer hofften. Dies geschah auf Intervention eines verstorbenen Mitbruders, der ihm eines Samstagnachts im Traum erschien und bat, die hl. Messe am Sonntag für die Verstorbenen zu feiern, damit er und alle anderen von ihren Qualen erlöst würden. Unser Nicola wusste, was sich für einen wahrhaft gehorsamen und demütigen Augustiner-Eremiten gehörte: Anstatt mit einem frommen Ausruf von der Pritsche zu schnellen, federnden Schrittes den Kreuzgang entlangeilen und den Pater Prior aus seiner Zelle zu trommeln, um ihm von dieser wundersamen Möglichkeit, Seelen zu retten, enthusiastisch zu berichten, wog er eine Weile den Kopf. Schließlich gab er dem verzweifelten Entschlafenen zu bedenken, dass er die Konventsmesse zu singen habe – eine absolut unverhandelbare Verpflichtung -, und deshalb keine Messe für die Verstorbenen feiern könne.
Pater Pellegrino, die Erscheinung aus dem Fegefeuer, musste mit einer solch spröden Reaktion gerechnet haben, denn er beschloss, ganz auf Breitbild-HDTV und höchste Dolby-Audioqualität zu setzen: Er zeigte Nicola das Tal von Pesaro, angefüllt mit lauter Seelen von Verstorbenen, die in einem riesenhaften Fegefeuer brannten – Stanley Kubrick hätte es nicht besser inszenieren können.
Nicola beeindruckte das Szenario insoweit, als er die Nacht im Gebet verbrachte und den Prior bat, eine ganze Woche lang die hl. Messe in der Fürbitte für die armen Seelen feiern zu dürfen. Sein Mitbruder erschien ihm abermals, um ihm zu danken und die Gewissheit zu geben, er habe den größten Teil der Seelen aus dem brennenden Tal retten können. Und so mehrte sich der Ruhm des jungen Nicola, dessen nächste Stationen Fano und Recanati waren, wo er ein totes Kind auferweckte, die Seele eines gemeuchelten Mitbruder aus dem Fegefeuer erlöste, die Kranken pflegte und die Verzweifelten tröstete.
1275 kam er nach Tolentino. Hier kümmerte er sich weiter intensiv um die Armen und Bedürftigen, und unterzog sich strengsten Bußübungen: er war ein beliebter und milder Beichtvater, der zu gütig war, um seinen Beichtkindern schwere Bußen aufzuerlegen. Stattdessen büßte er also für deren Verfehlungen und ruinierte sich nach und nach seine blühende Gesundheit. Niemand sah ihn jemals Fleisch, Eier, Fisch oder Obst essen. Stattdessen nahm er drei Gläser Wein mit Wasser vermischt pro Tag zu sich, wobei es vorkommen konnte, dass sich das Wasser in seinem Glas zu vorzüglichem Wein verwandelte.
Doch selbst ein großer Heiliger kann in den Zwiespalt zwischen Demut und Gehorsam geraten. Einmal erkrankte er so schwer, dass ihm der Tolentiner Arzt als stärkende Mahlzeit ein paar knusprig gebratene Rebhühner verordnete. Nicola hätte liebend gerne heroisch verzichtet aus Gründen der Askese, doch diesem Ansinnen stand die Weisung seines Priors entgegen, der ihm kurzerhand befahl, gefälligst alles bis auf das letzte Flügelchen aufzuessen. Nicola gehorchte stets und immer, wie sein Oberer wusste, dem letztlich an der Gesundheit seines Schützlings mehr gelegen war als an dessen spirituellen Obsessionen.
Nicola blickte auf den Teller, von dem es appetitanregend duftete, wendete dann den Blick gen Himmel und bat dringend darum, entsagen zu dürfen. Nach göttlicher Logik konnte es nur einen einzigen Ausweg aus dieser Zwickmühle geben, der Nicola einerseits nicht des Ungehorsams schuldig machte und andererseits seine Bußübungen torpedierte: Die Rebhühner wurden wieder lebendig, werden zutiefst verwirrt ihr kerrick-kerrick gekrächzt und sich dann Flügel schlagend in die Lüfte erhoben haben.
Wir dürfen vermuten, dass die heilige Muttergottes diese Auflösung zwar als äußerst elegant empfand, aber hinsichtlich des Gesundheitszustandes ihres Schützlinges nicht hinreichend wirkmächtig. Darum wies sie ihn in einer Vision an, frisch gebackenes Brot in Wasser zu tauchen und davon zu essen. Und Nicola genas auf der Stelle.
Noch heute werden Nikolaus-Brötchen im Heiligtum gesegnet. Man taucht sie in Wasser und betet ein Vater Unsere, Ave Maria und Ehre sei dem Vater, bevor man sie zu sich nimmt.
Der Gebäudekomplex des Heiligtums besteht aus der Basilika mit ihrer prächtig vergoldeten Kassettendecke, der Sakramentenkapelle aus dem 17. Jahrhundert und dem Glockenturm. Daneben befindet sich das romanische Meisterwerk des um 1210 erbauten Kreuzganges mit herrlichem Glyzinien-Bewuchs, mit den Eingängen zu den Mönchszellen. Parallel zu Chor und Apsis der Basilika liegt die Kapelle der hl. Arme, in der 450 Jahre lang die Arme des Heiligen verehrt wurden, die irgendein Wahnsinniger vom Körper abgetrennt hatte. Bei wichtigen kirchlichen Ereignissen begannen diese auch prompt zu bluten. Heute liegt der komplette – wieder aufgefundene – Leichnam des Heiligen in der unterirdischen Krypta aus dem 19. Jahrhundert in einem vergitterten Glassarg.
Das ganze Ensemble ist von großer kunsthistorischer Bedeutung, doch die capellone genannte Große Kapelle mit den gotischen Kreuzgewölben ist ein wahres Kleinod: Decke und Wände sind mit farbenprächtig leuchtenden Fresken aus der Giotto-Schule bedeckt, wie wir sie aus der Basilika in Assisi kennen. Das Gewölbekreuz ist mit Darstellungen der Evangelisten und Kirchenväter geschmückt, die Wände zeigen Episoden aus dem Leben Jesu Christi, der heiligen Jungfrau und dreizehn Szenen aus der Vita des heiligen Nikolaus von Tolentino mitsamt seinen Aufsehen erregendsten Wundertaten: der Auferweckung des Mädchens Filippa aus Fermo von den Toten, die Rettung Schiffbrüchiger, eines zu Unrecht Verurteilten und Erhängten; auf dem Sterbebett umgeben von Engeln und Heiligen – als sein Todestag gilt der 10. September 1305.
In der Mitte des Raumes steht der Steinsarkophag aus dem Jahre 1474, in dem seine Reliquien bis zu seiner Umbettung in die moderne Krypta aufbewahrt wurden, darauf eine Statue (um 1460), wie er, im Mönchsgewand, in der einen Hand ein Buch hält und in der anderen einen Stern mit einem lachenden Kindergesicht.
Für einen Besuch der Basilika des heiligen Nikolaus in Tolentino sollte man sich viel Zeit nehmen, denn neben den Kunstschätzen und den Reliquien beherbergt das Heiligtum auch verschiedene interessante Sammlungen, wie etwa die einzigartigen Votivtafeln – die ältesten stammen noch aus dem 14. Jahrhundert – eine Keramik- und Gemäldesammlung, Paramente und Brokate sowie eine Krippensammlung. Auf keinen Fall sollte man die Diorama-Schau im Untergeschoß versäumen, in der in zahlreichen detailverliebten und bezaubernd ausgeschmückten Guckkästen das Leben und Wirken des Heiligen nacherzählt wird.
Die Anrufung des heiligen Nikolaus von Tolentino empfiehlt sich vor allem Eltern für ihre Kinder und Enkel, für Menschen, die sich im Kampf gegen das Böse bewähren müssen und für die Verstorbenen und die Armen Seelen. Für den Besuch des Heiligtums am Sonntag nach dem 10. September kann man nach Anordnung von Papst Bonifatius IX. aus dem Jahr 1400 einen vollständigen Ablass gewinnen.
Unabhängig davon wirkt unser Nicola unermüdlich und bis zum heutigen Tage noch Wunder. Und wer ihn an einem stillen Frühlings- oder Herbstabend besucht, sieht vielleicht sogar seinen lächelnden Stern über der Basilika stehen.
Heiligtum der Basilika des Hl. Nikolaus, 62029 Tolentino (MC), Italien
Zwischen 12 und 15 Uhr geschlossen wegen Mittagsruhe.
http://www.sannicoladatolentino.it
September 10, 2014 No Comments
Der renommierte Vatikan-Experte Ulrich Nersinger hat ein Interview mit mir geführt
Und zwar zum Thema „Vatikan-Krimis“ und insbesondere meinen Vatikan-Krimi, natürlich, „Das Farnese-Komplott“.
>>Kriminalromane, die im und rund um den Vatikan spielen, haben in der Regel keine guten Ruf. Sie folgen oft den üblichen Klischees, zeichnen sich durch mangelnde Sachkenntniss aus und lassen die Kirche in einem schlechten Licht erscheinen. Dass dies nicht sein muss, beweist ein Thriller aus der Feder von Barbara Wenz. Barbara Wenz, geboren 1967 in der Südpfalz, lebt und arbeitet als Autorin und freie Journalistin seit über zehn Jahren in Italien; sie schreibt u. a. für „Die Tagespost“ (Würzburg) und das „Vatican-Magazin“ (Rom) und hat bereits einen literarischen Reiseführer über bekannte und unbekannte Pilgerorte in Mittelitalien veröffentlicht.<< Weiterlesen hier.
September 2, 2014 No Comments