Journalistin und Autorin

Random header image... Refresh for more!

Walter Nigg: Sokrates und der Tod

>>In seiner Einstellung zum Tode hat Sokrates noch einmal einen letzten Höhepunkt erreicht, der seine religiöse Grundhaltung wiederum leuchtend sichtbar macht. Es ist unumgänglich notwendig, Sokrates gerade auf dem Weg zum Sterben noch zu begleiten, da die Todesmöglichkeit beständig in das Leben aller Menschen hineinragt. Wie Sokrates über den Tod dachte, darüber ist die Nachwelt ziemlich genau unterrichtet. Er kannte keine Furcht vor dem Tode und betrachtete ihn nicht als ein Übel, indem er erklärte: „Niemand weiß vom Tode, ob er nicht vielleicht sogar das allergrößte Glück für den Menschen ist.“ Sokrates neigte dazu, ihn unter dem Gesichtswinkel des inneren Gewinnes zu betrachten: „Eines von zweien nämlich ist das Totsein: entweder ist es eine Art Nichtsein, so daß der Tote keinerlei Empfindung hat von irgend etwas, oder es ist, wie der Volksmund sagt, eine Art Verpflanzung und Übersiedelung der Seele von hier an einen anderen Ort. Im ersten Fall nun, wo von Empfindung nicht mehr die Rede ist, sondern von einer Art Schlaf, der so tief ist, daß dem Schlafenden nicht einmal irgendein Traumbild erscheint, wäre der Tod ein wunderbarer Gewinn. Denn ich glaube, wenn einer eine solche Nacht, die ihm einen völlig traumlosen Schlaf gebracht hat, ausählte und ihr die übrigen Nächte und Tage seines Lebens gegenüberstellen müßte, um zu entscheiden, wie viele Tage und Nächte in seinem Leben er glücklicher verbracht hat als diese Nacht – ich glaube, dann wird nicht etwa bloß ein Mann gewöhnlichen Schlages, sondern der Großkönig in Person finden, daß diese sich sehr leicht zählen lassen im Vergleich zu den anderen Tagen und Nächten. Ist also der Tod von dieser Art, so nenne ich ihn einen Gewinn; denn die ganze Ewwigkeit scheint daneben nichts weiter zu sein als eine einzige solche Nacht. Ist aber der Tod gleichsam eine Art Auswanderung von hier an einen anderen Ort und hat es mit dem, was der Volksmund sagt, seine Richtigkeit, daß dort alle Verstorbenen weilen, was gäbe es dann für ein größeres Glück als dieses?
Ja für mich hätte der Aufenthalt dort noch seinen ganz besonderen Zauber, seine Aufgabe, darin zu sehen, daß man die dort Weilenden ausforsche und prüfe wie die Menschen hier auf Erden, wer von ihnen weise und wer es zu sein glaube, ohne es doch zu sein. Wieviel gäbe mancher darum, wenn er die Führer des großen Heeres von Troja oder den Odysseus oder tausend andere, die zu nennen wären, Männer und Frauen, verhören könnte! Mit ihnen dort sich zu unterhalten und zu verkehren und sie auszuforschen, welch überschwengliches Glück wäre das!“<< gefunden in Walter Nigg: Von Heiligen und Gottesnarren

November 27, 2020   No Comments

Peter Dyckhoff: Sterben im Vertrauen auf Gott


Die zeitlose Kunst des Sterbens – eine Buchbesprechung von Barbara Wenz, erschienen am 20. November 2014 in Die Tagespost

Im November gedenken wir nicht nur unserer Verstorbenen, auch die absterbende Natur weist deutlich darauf hin: Alles ist vergänglich. Die geistliche Vorbereitung auf die eigene Sterbestunde ist in der heutigen Zeit nicht gerade eine weit verbreitete spirituelle Praxis; und obwohl wir in jedem Ave Maria beten „Bitte für uns, heilige Gottesmutter, jetzt und in der Stunde unseres Todes“, so versuchen wir doch häufig jeden Gedanken daran zu vermeiden. „Sterben im Vertrauen auf Gott“ ist ein Buch, das uns an dieses Thema heranführen will. Es besteht aus zwei Teilen. In der ersten Hälfte des Buches meditiert der Autor über 11 Kupferstiche eines unbekannten Meisters aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, in denen fünf Versuchungen des Teufels in der Sterbestunde fünf Trost spendende Eingebungen der Engel sich gegenüber stehen. Im letzten Bild sieht man, wie die erlöste Seele des Sterbenden, der den Kampf bestanden hat, von seinem Engel zum Himmel hinaufgetragen wird. Diese illustrierte Unterweisung, wie man eine gute Sterbestunde bestehen könne, wurde in der damaligen Zeit noch von jedem verstanden und sollte besonders auch Leseunkundigen eine Hilfe sein. Wir Heutige stehen etwas verloren vor den Stichen, weil wir zumeist verlernt haben, in den geistlichen Dimensionen des Mittelalters zu denken.
Peter Dyckhoff erweist sich in der Auslegung dieser ins Bild gefassten „ars moriendi“, dieser „Kunst des Sterbens“, als wahrer Meister. Jedes, häufig zunächst unverständliche Detail, wird von ihm erfasst und mit Sinn erfüllt. Seine Interpretationen werden dann zu regelrechten Bild-Meditationen, wenn er seine Ausführungen mit Zitaten aus den Psalmen, von Augustinus, Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen und anderer großer Heiliger und Kirchenlehrer ergänzt. Das Großthema des Bilderzyklus ist die Verzweiflung des Sterbenden, welcher der Meister aus dem 15. Jahrhundert die Barmherzigkeit Gottes gegenüberstellt. Bemerkenswert ist dies auch aus dem Grund, weil von früheren Zeiten häufig gesagt wird, es habe keine „barmherzige Pastoral“ gekannt, sondern habe Höllenfeuer und Verdammnis gepredigt. Ebenfalls wird bei der Lektüre verständlich, warum es für die Menschen dieser Zeit so wichtig war, gut vorbereitet zu sterben und die schrecklichste Vorstellung ein jäher Tod war, welcher heute wiederum von vielen als durchaus wünschenswerter denn ein längeres und womöglich schmerzhaftes Siechtum betrachtet wird.
Der mittelalterliche Mensch, der sich gut auf seinen Tod vorbereitet hatte, musste sich in der für seine Seele alles entscheidenden Sterbestunde nicht mehr mit irdischen Dingen beschäftigen, eine der fünf Versuchungen des Teufels. Vielmehr konnte er unbesorgt loslassen und nur noch auf die liebende Barmherzigkeit Gottes vertrauen. Ebenso stellte der Abschied von Familie und Freunden eine wichtige Station während des Sterbeprozesses dar, damit sich der Sterbende allein auf sein Seelenheil, das in dieser Phase seines Lebens auf dem Spiel stand wie nie zuvor, konzentrieren und sich, mit dem Blick auf den nackten Christus am Kreuz, vollkommen in der Entfaltung der Tugenden Demut, Zuversicht und Geduld üben konnte. Vielleicht waren die Menschen, die diese psychologisch äußerst sensiblen Beobachtungen gemacht haben, in unserem modernen Sinne nicht aufgeklärt, aber sie hatten dafür praktisch tagein tagaus mit dem Tod und mit Todkranken zu tun. Je weiter in unserer modernen Gesellschaft das Sterben aus den Häusern und Familien ausgelagert wird – hier sind ausdrücklich nicht Hospize gemeint, sondern das anonyme, unbetreute Sterben in Krankenhäusern – desto weniger wird über die „novissima“ gewusst: im Mittelalter sprach man bezeichnenderweise von den „neuesten“, nicht von den „letzten Dingen“.

Im zweiten Teil des Buches widmet sich der Autor zum einen seinen ganz persönlichen Erfahrungen mit Sterben und Tod in der eigenen Familie, zum anderen macht er sich Gedanken darüber, warum der Tod überhaupt sein muss und bietet nebenzu noch eine profunde Erläuterung des Psalm 22, des Sterbegebets Jesu am Kreuz. Dyckhoff liefert uns Anleitungen dazu, wie die Beschäftigung und der Umgang mit dem Tod zu einer existentiellen Demutsübung werden kann, wie wir in der Auseinandersetzung mit dem Unverfügbaren Gott begegnen können: „Was von Gott kommt, muss unweigerlich auch zu Gott führen.“
Dyckhoff gelingt ein positives, ein hoffnungsfrohes und zuversichtlich machendes Buch über das Sterben im Vertrauen mit Gott, denn: „Im Glauben an die Auferstehung und das ewige Leben können und dürfen wir bewusst auf unseren Tod zugehen, da Christus das Tödliche am Tod überwunden hat.“ Nicht zuletzt bieten seine Ausführungen zum christlichen Sterben eine wertvolle Anleitung zum christlichen Leben, was zunächst wie ein Paradox klingt, wurde von den großen Heiligen und vielen einfachen Gläubigen schon immer gewusst. Durch eine Vielzahl von angemessenen Gebeten und Meditationsvorschlägen hat der Autor außerdem ein Buch geschrieben, das auch für Sterbebegleiter, ob ehrenamtlich oder ganz privat, äußerst hilfreich sein kann. An sich ist es die ideale Novemberlektüre, bevor wir uns im Advent wieder auf die Geburt des Lichtbringers vorbereiten.
Doch da wir mitten im Leben vom Tod umfangen sind, wie eine uralte lateinische Antiphon, die später von Rilke abgewandelt wurde, besagt, ist es ein Buch, das keine Zeit hat. Und sofern, man das von einem Buch über das Sterben sagen kann, ein Buch, das dank der Feinfühligkeit und des tiefen Glaubens seines Autors, dem Leser wohl tut.

Peter Dyckhoff: Sterben im Vertrauen auf Gott
Media Maria Illertissen, 2014
ISBN 978-3-9816344-3-3
https://www.media-maria.de/

Dezember 18, 2014   No Comments