Journalistin und Autorin

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Posts from — Oktober 2020

Mein Mittelitalien-Führer „Poetische Pilgerorte“ geht in die zweite Auflage


Es ist soweit – und ich glaube, es kann keinen besseren Zeitpunkt geben als diesen: Viele Menschen, viele gläubige Menschen sehnen sich nach dem Süden. Doch wir leben in einer dramatischen Zeit. Auch in Italien steigen die Zahlen wieder erschreckend an, gleichzeitig nimmt die Sehnsucht zu: Nach Rom, nach Loreto, nach Norcia zum heiligen Benedikt, nach Manoppello zum rätselhaften Antlitz Christi, nach Lanciano mit seinem eucharistischen Wunder.
Vor gut einem Jahrzehnt erschien mein literarischer Reiseführer im Michael Müller Verlag Aachen. Seither ist viel geschehen, vieles hat sich geändert. Mit dem plötzlichen und unerwarteten Tod von Michael Müller im Februar 2014 hat die katholische Kirche in Deutschland eine beeindruckende Verleger- und Journalistenpersönlichkeit verloren. Ich behalte ihn in sehr guter Erinnerung, denn unsere Zusammenarbeit war von Aufrichtigkeit und Vertrauen geprägt.
Nun hat es Bernhard Müller von fe-medien in Kisslegg unternommen, mein damals im Aachener Verlag zuerst erschienenes Pilgerbuch erneut aufzulegen. Der Zeitpunkt passt wie kein anderer. Ich wünsche meinem Buch, dass es viele Leser findet, die sich ihre Sehnsucht bewahrt haben und – wenn es momentan nicht anders geht – mit meinen Texten auf eine Entdeckungsreise vom Lesesessel aus nach Mittelitalien aufbrechen möchten. Und nebenzu ist das Buch ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk. Besonders gefreut hat mich, dass sich fe-medien dazu entschlossen hat, die wunderschönen Fotos aus Italien, der jeweiligen Heiligtümer, auch in der zweiten Auflage farbig abzudrucken und in das Buch wieder mitaufzunehmen.
Wer es von mir persönlich signiert haben möchte, schickt mir einfach eine Nachricht über das Kontaktformular.

Barbara Wenz: Poetische Pilgerorte – Reisen ins mystische Mittelitalien
Fe-Medienverlags GmbH Kisslegg, 2020
ISBN 978-3-86357-285-3
www.fe-medien.de

Oktober 29, 2020   No Comments

Angesichts der aktuellen Ereignisse in Frankreich

kann ich nur nachdrücklich eine Literaturempfehlung abgeben, insbesondere an alle, die in Politik und Gesellschaft Verantwortung tragen und etwas verändern können.

Es ist Alexander Kisslers Buch „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ – schon vor einigen Jahren erschienen (2015), ich habe damals eine Rezension verfasst, die ich unten eingefügt habe.

Der Kulturjournalist und Autor Alexander Kissler, der unter anderem im Cicero und bei Focus veröffentlicht, hat sein jüngstes Buch mit einem kämpferischen Titel versehen. Keine Toleranz, das hören wir heute nicht so gerne, außer wenn es um die Bekämpfung von sexuellem Missbrauch oder Bandenkriminalität geht. Schließlich gilt „Toleranz“ als (post)moderne Kardinalstugend, und niemand hört sich gerne den Vorwurf an, ein intoleranter, mithin also inakzeptabler, Gesprächspartner zu sein, sei es im privaten Bereich, sei es im gesellschaftlichen Diskurs. Es geht um die Verteidigung westlicher Werte, entnehmen wir sogleich dem Untertitel des Bandes: „Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“.
Das klingt nach Streitschrift, wenn nicht sogar nach Pamphlet: Auf dem Cover wirft eine gemalte Burkafrau der schönen, nackten Schaumgeborenen von Botticelli einen purpurnen Umhang zu.
Dass das Buch jedoch vielmehr ein angenehm und lehrreich zu lesender, längerer Essay geworden ist, liegt an der Persönlichkeit Alexander Kisslers, und an seiner Herangehensweise. Als sensibler Chronist der Gegenwart hat er Freunde Benedikts XVI. bereits mit seinem „Papst im Widerspruch“-Titel über das Pontifikat des deutschen Theologenpapstes überzeugen können, das er mit einem liebevollen Auge gleichsam mitgeschrieben hatte. Im vorliegenden Buch geht es dagegen um Meinungs- und Religionsfreiheit – selbstverständliche Grundrechte, sollte man auf den ersten Blick denken. In Europa kennen wir es schon gar nicht mehr anders. Doch warum ist das so? Weil unsere Vorfahren in einem jahrhundertelangen Prozess darum gerungen und dafür gekämpft haben. Auch das klingt geläufig, und den Allermeisten wird dabei die Zeit der Aufklärung einfallen – doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Der Anlass, dieses Buch zu schreiben, hat für Kissler ein konkretes Datum. Er nennt es im ersten Satz seines ersten Kapitels: „Ich sehe die Welt mit anderen Augen seit dem 7. Januar 2015.“ An diesem Tag fand der Anschlag und das Massaker in der Redaktion der Satirezeitung „Charlie Hebdo“ statt. Elf Menschen wurden per Kopfschuss hingerichtet. In den Tagen zwischen dem 7. und 9. Januar wurde Paris, wurde Frankreich, wurde Europa durch eine neue Dimension islamistischen Terrors überrascht und erschüttert. Fast zeitgleich hat ein Komplize der Brüder Kouachi in einem jüdischen Supermarkt Geiseln genommen und dabei vier jüdische Franzosen ermordet.
Es ist dies das Epizentrum, von dem aus der Seismograf Kissler es unternimmt, die Verwerfungen in der jüngsten Geschichte Europas auszuloten. Sein Buch will, wie es am Ende des Vorwortes heißt, den Westen suchen und wiederfinden, erzählen von Liberalität und Unfreiheit, von Religion und Säkularismus, von Toleranz und von deren unbedingten Grenzen, von einer überlebensnotwendigen Haltung. Kissler will sich seine große Hoffnung, wie er an der gleichen Stelle schreibt, nicht nehmen lassen. Darum ist dies auch kein düsteres und ärgerliches Buch geworden, sondern eines, das Licht hinein bringt in unser Gemüt und unseren Geist. Bei seinem Streifzug durch die Geschichte nicht nur des Abendlandes konsultiert unser Autor neben den Heiligen der katholischen Kirche und natürlich Chesterton und Belloc, unter anderem auch Voltaire, John Locke, Cicero und Raif Badawi. Und immer wieder weist er auf die drohende Gefahr eines neuen Antisemitismus, der eben nicht von „rechts“ kommt, hin. Es genügt dabei praktisch schon der Hinweis auf Charlotte Knoblochs Ausspruch, der bereits Ende Juli 2014 getätigt wurde: „Was wir derzeit erleben, ist die kummervollste und bedrohlichste Zeit seit 1945.“ [Diese Worte, geäußert von einer Deutschen jüdischen Glaubens und ehemaligen Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses, sollten allerdings in diesen Zeiten der Bundeskanzlerin und unserem Innenminister sowie allen verantwortlichen Politikern tagein tagaus als Gute-Morgen-Aufwachen-Gruß entgegenschrillen.]
Kisslers neues Buch hat etwas mehr als 175 Seiten, die, trotz der tragischen Ereignisse, die teils darin behandelt werden, gut zu lesen weil mit leichter Feder geschrieben sind. „Ausgelesen“ wird es jedoch so schnell nicht sein – „weglegen“ lässt sich dieses Buch nicht mehr, wenn man es einmal in der Hand hatte: Dafür ist und bleibt es fürs Erste zu aktuell.

Alexander Kissler: Keine Toleranz den Intoleranten
Warum der Westen seine Werte verteidigen muss.
Gütersloher Verlagshaus 2015
ISBN 978-3-579-07098-8

Oktober 19, 2020   No Comments

Abt Tryphon: Leben ohne Angst (Blogeintrag)

Es gibt jede Menge Gemeinschaften auf der Welt, die alle auf Angst gegründet sind. Einige sind religiöser Natur, andere politischer. Alle schießen am Ziel vorbei, was die Botschaft der Kirche betrifft.
Wir Christen sind nicht darauf programmiert, Opfer zu sein, die in Angst leben. Für Christen ist unser wahres Selbst dasjenige, welches als Abbild und in der Ähnlichkeit Gottes erschaffen wurde. Als Kinder des Allerhöchsten sind wir dazu bestimmt, nicht in Angst zu leben, sondern in der Freude, in der wir die Liebe Gottes kennen und erfahren dürfen.
Unser Gott ist kein Gott des Zorns und der Vergeltung, sondern jemand, der uns zu einer Beziehung einlädt, die auf liebendem Austausch basiert. Er wartet nicht darauf, Feuer auf uns herabzusenden als ein zorniger Vater, sondern er entspricht vielmehr dem liebenden Vater, der sich wüncht, dass wir uns in der Wahrhaftigkeit nähern, nicht in den vielen Masken, die wir tragen.
Wenn wir uns nur auf Probleme fokussieren, verfehlen wir unser Ziel. Wenn wir stets nur die negativen Dinge in unserem Leben betrachten wie etwa der Kampf gegen eine bestimmte Sünde, oder wenn wir in negative Denkmuster geraten, dann scheitern wir damit, unser wahres Selbst zu leben
Viele Therapeuten halten ihre Patienten in einem koabhängigen Status, indem sie sie pathologisieren. Politische Parteien halten sich oft an der Macht indem sie mit den negativen Zuschreibungen arbeiten, die sie für die Opposition geschaffen haben. Religionen machen oft das gleiche, sogar mit ihren eigenen Gläubigen, sie halten sie gefangen in einem negativen Schema, das keinerlei spirituelles Wachstum erlaubt, welches die Gläubigen heilen würde und sie zum geistlichen Wohlbefinden führen würde.
Gemeinschaften, die Angst gegründet sind, nutzen diesen Missbrauch, um die Menschen bei der Stange zu halten, sie belassen sie in einem unaufhörlichen Kindstadium, in dem es ihnen unmöglich gemacht wird, ihr volles Potential auszuschöpfen und das verhindert, dass sie ihr wahres und eigentliches Ich erfahren können. Diese Gemeinschaften, politische wie religiöse, verhindern das Erblühen von Persönlichkeiten.
Gott lädt uns ein, unsere Leben als Seine Kinder zu führen und all die Gaben zu nutzen, die er uns für ein erfülltes Leben geschenkt hat. Für den Christen ist die Angst bezwungen, eben genau weil wir Seine Kinder sind. In der orthodoxen Kirche sind die Priester und Bischöfe dazu gerufen, die Gläubigen zu ermutigen, ihr Leben in Treue zu den Geboten Gottes zu leben, nicht weil es schwere Konsequenzen hätte, wenn sie es nicht tun, sondern wegen der großen Freude, die uns geschenkt wird, wenn wir in Gemeinschaft mit Ihm leben.

In Christi Liebe,
Abt Tryphon

[Übersetzung von mir – Originaleintrag hier]

Oktober 18, 2020   No Comments

Meine Nachbarn hier.

Um ehrlich zu sein sind das keine Nachbarn in dem Sinne. Sie sind mindestens 25 Steinwürfe entfernt und wir bewohnen verschiedene Hügelseiten. Und eigentlich sind wir im Laufe der Jahre auch echte Freunde geworden. Die Rede ist von Amanda und Rosario (die Namen sind nicht echt, ich habe sie nur so getauft für mich), einem jungen Pärchen, das vor Jahren ein marodes Gehöft hier in der Nähe bezogen hat.
Während des lockdowns hatte ich von Deutschland aus angerufen um mich zu erkundigen, wie es ihnen ginge. Und da eröffnete mir Amanda, dass sie schwanger gehe mit Zwillingen. Es sei eigentlich nicht geplant gewesen. Mitten in dieser Krise bekam ich also eine wundervolle Nachricht, dass das Leben einfach weitergeht. Ich habe mich so für die beiden gefreut. Am Mittwoch treffen wir uns, draußen im Garten und con la distanza di sicurezza, ich habe Amanda aber schon neulich auf einem Spaziergang mit ihrem Baby getroffen. Sie erzählte mir, dass die Geburt leider nicht nach Plan lief, man habe einen Kaiserschnitt machen müssen. In solchen Sachen bin ich nicht sehr bewandert, ich fragte, ob das nicht vielleicht doch gut gewesen sei, es mache es doch den Frauen leichter, hätte ich halt so gehört. Nein nein, sie hätte eine normale Geburt vorgezogen, es sei einfach natürlich, natürlich hätte man Schmerzen, aber das dauere nicht lange und sie laviere jetzt immer noch mit der Operationsnarbe herum. Und ihre Mutter und Schwester seien da, denn zwei kleine Babies sei schon eine Menge Arbeit, sie helfen wo sie können. Und manchmal, erzählte sie mir, habe ich einfach nur Tränen in den Augen. Dann, so erzählt sie weiter, fragt mich meine Mutter, was los ist, ob mich etwas bedrücke. Und dann antworte ich ihr, dass ich aus lauter Glück weine.
Ich habe mal in meinen alten Notizen geschaut, was ich vor Jahren einmal über Amanda und Rosario sozusagen im Jahreslauf aufgezeichnet habe. Ich möchte es gerne unten einkopieren:

Italien in der Krise
Amanda und Rosario sind ganz junge Leute, die vor einiger Zeit in das leerstehende Bauernhaus mit Traumblick zur Miete einzogen. Er ist Vertreter für einen Photovoltaik-Hersteller, sie macht Yoga und bietet Wellness-Behandlungen an.
Die beiden haben aus dem maroden Gehöft einen Traum gemacht. Dafür schuften sie neben ihren Erwerbsjobs tagein tagaus. Das riesige Grundstück muss in Schuss gehalten werden, an dem gigantischen Wohnhaus sind Renovationen nötig, doch sie haben nicht nur das Nötige gemacht, sie haben auch noch ein Appartment für Feriengäste eingebaut. Beide sind nicht gläubig, aber haben großen Respekt vor Kirche und Papst.
Neulich wurde ich von Amanda belehrt, dass der Papst sagt, man dürfe kein Essen wegwerfen.
„Eh bèh!“, antworte ich, natürlich ist es nicht gut, etwas wegzuwerfen. Aber umzusetzen sei das doch heutzutage nicht mehr wirklich.
Doch doch, sagt Amanda, wir praktizieren das. Aus allen Resten des Tages machen wir abends eine bella frittata – also ein Rührei mit Ingredenzien – und dann haben wir das verwertet. Wir sind hier aufs Land gezogen, um die Schönheit zu haben, den Frieden zu genießen, und ganz im Einklang mit der Natur zu sein.
So ganz klappt das leider auch nicht – vor ein paar Monaten wurde eingebrochen.
Amanda sagt: Das ist mir egal. Es ist zwar schrecklich, aber ich habe dieses Leben bewusst gewählt, und so werde ich mich einfach nicht tyrannisieren lassen von Angstvorstellungen und was noch kommen könnte. Jeden Morgen trete ich vor die Türe, ich schaue auf die Berge und das Meer, und dann atme ich ein. Das ist das Leben, das ich mir immer gewünscht habe. Dann nimmt sie ihre Grabschaufel und ihr Tütchen, und geht Topinambur am Straßenrand ausgraben, um ihn zu kochen.
Rosario kümmert sich um das Grundstück mit Kirschbäumen, Feigen und einem kleinen Gemüsegarten.
Sie haben mittlerweile einen Pelletofen und installieren eine Solaranlage, um unabhängiger zu sein.
Gekocht und bewirtet wird man mit dem, was eben da ist: Selbsteingelegte Oliven, Gebäck mit Blätterteig und Spinat. Ein Salat der Saison. Ein Risotto mit Radicchio. Wenn Amanda und Rosario zusätzlich einkaufen, dann nur bei Erzeugern und in einer gemeinsamen Gruppe, welche ebenfalls interessiert ist an qualitativ hochwertigen Produkten zum Großeinkäuferpreis.
Trotz der vielen Arbeit, die das Gehöft macht, der Sorgen mit den Behörden und allem Drum und Dran, habe ich Amanda und Rosario niemals schlecht gelaunt oder niedergedrückt gesehen.
Sie sind glücklich mit dem was sie haben – sie sind glücklich, wenn ich ihre Kirschbäume preise und mir ein paar Kirschen pflücken darf. Sie freuen sich über eine vorbeigebrachte Flasche Wein, sie haben immer Zeit und Lust, sich eine halbe Stunde zu unterhalten, auch wenn man sie von ihrer Arbeit eigentlich abbringt. Sie sind glücklich wie Kinder.
Und darum mache ich mir keine Sorgen um Italien.
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Man muss sie einfach lieben.
Eben gerade, zu einer Zeit, zu der ich kaum wagen würde, irgendeinen deutschen Freund anzurufen, ein Anruf von Rosario. [Was der Anlass für dieses Gefühl war, habe ich vergessen – Anmerkung von heute]. Ich hatte über ihn und Amanda schon hier geschrieben.
Nun, Rosario war diese Woche beruflich in München unterwegs. Und hat dort in einschlägigen Bierhäusern auch deutsches Bier getrunken. Troppo, wie er sagt, also ein wenig zu viel davon, und schiebt es aber auf die afrikanische Hitze, die auch dort geherrscht hätte.
Und er hat eine deutsche Zeitung für mich mitgebracht. Alles stünde drin. Politik, Feuilleton, Sport und soweiter. Ich solle sie dann abholen.
Auf meine Nachfrage, wie diese Zeitung denn heiße, sagt er:
Sud!-toitsche!
Ich lache und sage im Scherz – er weiß ja, dass ich sehr gläubig bin, naja, das ist aber ein giornale eretico. (Also eine Zeitung der Irrlehre).
Sì, sagt er gleich, stimmt, un giornale eretico. Und lacht sich kaputt.
Hol’s dir morgen ab, ich deponiers bei mir im Postkasten.

Dass Gott Italien und die Italiener schuf, ist alleine schon ein Beweis seiner Existenz.

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Die Olivenernte hat begonnen
Ich komme am Olivenhain vorbei, in dem Rosario arbeitet, zusammen mit seinem Freund aus der Toskana, der extra für die Erntearbeiten ein paar Tage bei ihm wohnt.
Sie haben Netze unter den Bäumen ausgebreitet und „kämmen“ die Oliven von den Zweigen mit einer Art elektrischem Teleskoprechen. Andere fleißige Helfer sammeln diese dann auf und legen sie in die bereit gestellten Kisten.
„Ciao, möchtest du einen Becher Wein, komm runter!“ begrüßt mich Rosario herzlich. Ich pflücke ihm ein Olivenblatt von der schweißnassen Stirn.
„Seid ihr nicht zu früh dran?“ will ich wissen.
Da kommt sein Freund aus der Toskana dazu. „Der perfekte Zeitpunkt für die Ernte ist, wenn sie gerade dabei sind, die Farbe von grün zu dunkel zu wechseln. Du bekommst ein besonders feines Öl. Andere ernten im November, Dezember, Januar. Das gibt ein schweres, scharfes Öl. Wenn wir jetzt ernten, dann erhalten wir ein fruchtiges, ganz leichtes und sehr bekömmliches Öl. Und du kannst sie wunderbar mit Salz einlegen und essen, wenn du sie jetzt vom Baum holst.“
Er drückt mir einen Becher Sangiovese in die Hand. Rosario sagt, sie hätten jetzt bereits angefangen, weil es bald kälter werden wird. Abgesehen von dem günstigen Zeitpunkt des Farbwechsels, den sein Freund schon erklärt hatte.
„Wir essen Brote mit porchetta, das geht am schnellsten, und trinken Wein dazu.“
„Porchetta gibt Kraft für die Arbeit“, lache ich, „und der Wein macht sie leichter!“
„Sì! Das ist so!“ Alle arbeiten fröhlich und heiter – die Olivenernte ist ähnlich wie die Weinlese eher ein kleines Fest als eine anstrengende Arbeit. Es ist ein Moment für die Ewigkeit. Ich stehe da mit meinem Becher Wein, genieße die besondere Stimmung, die unter den Erntehelfern herrscht und blicke versonnen über die sanften Hügel. Wo Weinberge sind, leuchtet die Landschaft orangerot auf, das Laub verfärbt sich bereits. Die Luft ist noch mild, aber milchig neblig.
„So viel Wasser in der Luft, man kann kaum atmen“, sagt der Freund aus der Toskana. „Und überall Spinnennetze voller Wassertropfen. Ich komme heute aus dem Haus und es tropft überall.“
In den Bäumen hängen Granatäpfel, die sich schon zu spalten beginnen und ihr dunkelrotes Fruchtfleisch zeigen. Drüben im Städtchen haben die Maroni-Röster ihre Stände aufgeschlagen. Zu Halloween bietet fast jedes Restaurant ein Menü mit Kürbis und Kastanien an.
Ich trinke aus und wünsche noch „Buon lavoro!“ und Grüße an Amanda, die oben im Haus beschäftigt ist.
Es ist wirklich Herbst geworden.

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Vorhin zu einem adventlichen Aperitivo
bei Amanda und Rosario gewesen.

Wir saßen vor einem gigantischen antiken Kamin, der modern verglast wurde, um als Heizofen für weitere Räume zu dienen, und in dem riesige Holzscheite brannten. Außerdem hatten sie schon den Weihnachtsbaum mit einer simplen Lichterkette aufgebaut. Es war sehr behaglich. Zu einem leckeren Rotwein gab es selbstgebackenes Brot, aufgeschnitten und mit Stückchen von geräucherter Lachsforelle und roten Zwiebeln belegt. Außerdem eigene schwarze Oliven, die in Fenchel und Orangenschalen mariniert waren. Doch das leckerste überhaupt war das in der Glut angeröstete Brot, begossen mit eigenem Olivenöl und überstreut mit etwas Salz.
Auf den Weihnachtsbaum deutend, erwähnte ich, dass ein Engel an der Spitze noch fehlen würde – oder ein Stern. Und dann berichtete ich ihnen von der altehrwürdigen Kunst, Weihnachtsbaumschmuck selbst zu basteln. Damals, in den siebziger Jahren, konnte man ja nirgendwo all diesen Schnickschnack kaufen, der blinkt und funzelt und leuchtet. Die Adventszeit war hauptsächlich dafür gedacht, sich den Weihnachtsbaumschmuck an langen Abenden gemeinsam herzustellen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit meiner Mamma selbst Strohsterne gemacht habe – aus eigenem Stroh von der Scheune. Die Halme wurden irgendwie gewässert und dann platt gebügelt, arrangiert und mit Nähgarn im Zentrum umwoben.
Besonders Amanda war völlig fasziniert, sie ist jünger als ich und kannte das nicht. Ich habe also versucht, das Prinzip zu erklären – und glücklicherweise gibt es ja heutzutage iPads, so dass ich direkt an einem solchen Bilder von Strohsternen für sie googeln konnte, damit sie eine bessere Vorstellung bekommt.
Und wir hatten winzig kleine echte Kerzchen in den Baum gesteckt.
Und ganz wenige, kunsthandwerklich wertvolle Glaskugeln, die gab es damals schon, waren aber rar und teuer. Und ansonsten haben wir einfach kleine Winteräpfelchen reingehängt.
Und in den Zeiten von Räucherstäbchen und teuren Raumsprays mit klingenden Namen aus dem Bioladen darf man nicht vergessen zu erwähnen, dass wir damals auch einfach eine Orange genommen, mit unzähligen Gewürznelken bespickt und im Raum aufgehängt haben, damit es gut und weihnachtlich duftet.
Einerseits kommt man sich alt vor, wenn man so etwas erzählt. Andererseits hat es mir eine Freude gemacht, davon zu sprechen. Amanda sagte dann auch ganz beeindruckt: Das ist toll, dass du das noch so erlebt hast. Bald wird es niemanden mehr geben, der diese alten Traditionen noch kennt und davon sprechen kann
(Okay, sie meinte es nicht so, dass ich quasi schon in meinem achtzigsten Lebensalter stehe, sondern es ganz allgemein, weil sie sich für altes Kunsthandwerk interessiert. Glaube ich mal:-))

Oktober 12, 2020   No Comments

Italy revisited

Ja, es musste sein, ich mache hier nicht Urlaub aus Spaßgründen, aber ich musste einiges erledigen und habe mich nun zum ersten Mal wieder getraut – und weil ich eben musste.
Zunächst bemerkt, es hat sich nicht viel verändert. Fast alle Restaurants und Bars sind noch geöffnet, aber ich sehe mehr Italien-Flaggen vor den Häusern und auch diese Regenbogenbilder, die Kinder gemalt haben, in den Fenstern kleben. Ich kann nicht für andere Regionen und gar Städte sprechen, denn ich bin hier mitten auf dem Land.
Hier zumindest ist die Disziplin der Italiener in puncto Masketragen ist vorbildlich. Wenn ich im Supermarkt einkaufen war und in die Autos neben mir schaue, desinfizieren sich wirklich alle, nachdem sie ins Auto zurückgekehrt sind, ganz selbstverständlich die Hände. Es gibt viel weniger Gemeckere und Gemotze als in Deutschland, das war mir aber nach 20 Jahren Italien-Erfahrung eh klar. Die Italiener hat es sehr hart getroffen und sie sind ein Völkchen, das zwar unter der Zeit tut, was es will, aber wenn die nationale Katastrophe dann da ist, diszipliniert, solidarisch und verantwortungsvoll agiert. Ich kenne das noch von dem verheerenden Erdbeben des Jahres 2009. Überhaupt organisieren sich die Italiener immer solide angesichts des Chaos. Eine Eigenschaft, die ich schätzen gelernt habe und bei uns Deutschen dann eher vermisse.
Ab Sonntag gilt hier auch Maskenpflicht auf der Straße und auf öffentlichen Plätzen, außerdem gilt es als Pflicht, eine Maske mit sich zu führen.
Das Masketragen beeinträchtigt mich persönlich nicht und tut mir nicht weh. Es ist eine lästige Pflicht, aber ich nehme sie halt in Gottes Namen auf mich, um vor allem andere, aber eben auch mich selbst zu schützen. Solange mir niemand das Gegenteil beweist, gehe ich davon aus, dass sie diese Wirkung auch tatsächlich eben hat (auch dazu gibt es Debatten, aber es gibt Dinge, die ich nicht debattiere. Das wäre übrigens auch einmal eine Haltung, die ich vielen Deutschen wünschen würde. Nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch innerkirchlich etwa. Aber andere Baustelle.)
Insgesamt ist die Luft, die ich hier atmen darf die nächsten Tage, freier, selbst unter der Maske. Wenn man ein Jahr lang nicht hier war und nur diesen deutschen Mief mitbekommen hat, ist der Unterschied gravierend. Selbstverständlich jammert jeder, aber es ist auf gewisse Art anders – die Bedienung in meiner Stammbar meinte, wir sind jetzt alle gleich, alt und jung, reich oder arm, angesichts dieser Krankheit. Und man vertraut hier mehr auf Gott und Jesus, vielleicht hilft das, anstatt sich in Hybris zu erheben und zu denken, man wüsste alles besser und könne die Welt belehren. Doch tatsächlich bewundern sie hier auch die Deutschen, das wir bislang so glimpflich durch die Krise gekommen sind, das will ich nicht verschweigen.
Bleibt gesund und vertraut auf Jesus Christus!

Oktober 7, 2020   No Comments