Journalistin und Autorin

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Posts from — November 2020

Walter Nigg: Sokrates und der Tod

>>In seiner Einstellung zum Tode hat Sokrates noch einmal einen letzten Höhepunkt erreicht, der seine religiöse Grundhaltung wiederum leuchtend sichtbar macht. Es ist unumgänglich notwendig, Sokrates gerade auf dem Weg zum Sterben noch zu begleiten, da die Todesmöglichkeit beständig in das Leben aller Menschen hineinragt. Wie Sokrates über den Tod dachte, darüber ist die Nachwelt ziemlich genau unterrichtet. Er kannte keine Furcht vor dem Tode und betrachtete ihn nicht als ein Übel, indem er erklärte: „Niemand weiß vom Tode, ob er nicht vielleicht sogar das allergrößte Glück für den Menschen ist.“ Sokrates neigte dazu, ihn unter dem Gesichtswinkel des inneren Gewinnes zu betrachten: „Eines von zweien nämlich ist das Totsein: entweder ist es eine Art Nichtsein, so daß der Tote keinerlei Empfindung hat von irgend etwas, oder es ist, wie der Volksmund sagt, eine Art Verpflanzung und Übersiedelung der Seele von hier an einen anderen Ort. Im ersten Fall nun, wo von Empfindung nicht mehr die Rede ist, sondern von einer Art Schlaf, der so tief ist, daß dem Schlafenden nicht einmal irgendein Traumbild erscheint, wäre der Tod ein wunderbarer Gewinn. Denn ich glaube, wenn einer eine solche Nacht, die ihm einen völlig traumlosen Schlaf gebracht hat, ausählte und ihr die übrigen Nächte und Tage seines Lebens gegenüberstellen müßte, um zu entscheiden, wie viele Tage und Nächte in seinem Leben er glücklicher verbracht hat als diese Nacht – ich glaube, dann wird nicht etwa bloß ein Mann gewöhnlichen Schlages, sondern der Großkönig in Person finden, daß diese sich sehr leicht zählen lassen im Vergleich zu den anderen Tagen und Nächten. Ist also der Tod von dieser Art, so nenne ich ihn einen Gewinn; denn die ganze Ewwigkeit scheint daneben nichts weiter zu sein als eine einzige solche Nacht. Ist aber der Tod gleichsam eine Art Auswanderung von hier an einen anderen Ort und hat es mit dem, was der Volksmund sagt, seine Richtigkeit, daß dort alle Verstorbenen weilen, was gäbe es dann für ein größeres Glück als dieses?
Ja für mich hätte der Aufenthalt dort noch seinen ganz besonderen Zauber, seine Aufgabe, darin zu sehen, daß man die dort Weilenden ausforsche und prüfe wie die Menschen hier auf Erden, wer von ihnen weise und wer es zu sein glaube, ohne es doch zu sein. Wieviel gäbe mancher darum, wenn er die Führer des großen Heeres von Troja oder den Odysseus oder tausend andere, die zu nennen wären, Männer und Frauen, verhören könnte! Mit ihnen dort sich zu unterhalten und zu verkehren und sie auszuforschen, welch überschwengliches Glück wäre das!“<< gefunden in Walter Nigg: Von Heiligen und Gottesnarren

November 27, 2020   No Comments

Ich bin oft unglücklich.

Am Unglücklichsten bin ich, wenn ich eine wunderschöne Geschichte recherchiert habe, die ich nicht ohne in Tränen auszubrechen einem Dritten wiedergeben kann.
Zumeist sind es herzanrührende Geschichten. Über den Tod, die Liebe, die Ehre, das Sterben für Andere und den Glauben.
Immer wenn ich versuche, einem anderen Menschen zu erzählen, was mich gerade bewegt, über welches Thema ich gerade schreiben will, fangen die Tränen an zu laufen.
Ich finde das furchtbar.
Andererseits wurde mir heute gerade wieder bewusst, in welcher jahrtausendealten Tradition ich stehe.
Schon vor zigtausend Jahren setzten sich die Menschen nach ihrem eintönigen und verdrießlichen Tagwerk am Lagerfeuer, am Herdfeuer, in der Mitte der Gemeinschaft zusammen. Um dem Geschichtenerzähler zuzuhören. Der über den Tod, die Liebe, die Ehre, das Sterben für Andre, den Glauben sang und berichtete.
Okay, sie haben das ein bisschen professioneller gemacht und haben ihr Publikum unterhalten, ohne dabei in Tränen auszubrechen.
Aber dennoch, es ist eine ehrwürdige Tradition.
Deshalb möchte ich mich bei allen guten Geschichtenerzählern an sämtlichen Feuern der letzten tausend Jahre, ob auf dem offenen Feld, ob in der Geborgenheit einer Runde in der Küche, ob auf verwelktem Gras, gestampftem Lehm, auf uralten Fliesen oder auf modernen Kacheln ehrlich entschuldigen. Ich kann nicht erzählen von Liebe, Ehre, Tod und Hingabe, ohne dabei in Tränen auszubrechen.
Und was ohne Tränen zu erzählen wäre, ist es ja gar nicht wert.

November 23, 2020   No Comments