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Vinzenz von Paul und Louise de Marillac – zum Tage

Mein Beitrag aus der Rubrik „Geistliche Paare“ für das Vatican- Magazin vom Februar 2014

In der Ausgabe Juli 2013 dieses Magazins ging es um den heiligen Franz von Sales und die heilige Johanna Franziska von Chantal, die nicht nur Zeitgenossen von Vinzenz und Louise waren, sondern auch deren spirituelle Vorbilder. Vinzenz wurde nach dem Tode des Franz von Sales sogar der Seelenführer von Johanna Franziska. Am 13. Dezember 1641 hat Vinzenz eine Vision: Er sieht eine kleine feurig-glühende Kugel zum Firmament aufsteigen. Der Himmel öffnet sich: Ein größerer Feuerball kommt ihr entgegen und die beiden vereinigen sich, um weiter hinaufzusteigen, bis sie außer Sichtweite sind. Als Vinzenz vom Tode der Johanna Franziska erfährt, wird ihm die Bedeutung dieser Vision klar: Der heilige Franz hatte seine geliebte Tochter und geistliche Mutter zugleich im Himmel aufgenommen. Wenn Franz und Johanna Franziska „eines der innigsten und inspiriertesten geistlichen Paare waren …, welche die katholische Kirche kennt“ (Vatican-Magazin Juli 2013), dann darf man Vinzenz und Louise mit Recht als eines der schlagkräftigsten gemischten Doppel der Kirche bezeichnen. Gemeinsam schafften diese beiden, der Bauernsohn aus der Gascogne und die illegitime Tochter aus gutem Hause, das Unmögliche: Sie schufen ein Netzwerk der Nächstenliebe in der Sorge um Arme, Kranke, Findelkinder, Galeerensträflinge, Bürgerkriegsopfer und psychisch Kranke – ein Novum für das 17. Jahrhundert- , das heute noch besteht und in über 94 Ländern tätig ist. Die Kongregation der Barmherzigen Schwestern, auch Vinzentinerinnen genannt, inspirierte zahllose Frauen zum selbstlosen Dienst im Namen Christi, des Gekreuzigten, und sie inspiriert immer noch: Die selige Mutter Teresa von Kalkutta trat mit ihrem Werk der tätigen Nächstenliebe, für das sie 1979 den Friedensnobelpreis erhielt, in die Fußstapfen der beiden französischen Heiligen. Louise ist heute die Schutzpatronin der Sozialarbeiter und die Vinzentinerinnen gelten als der größte Frauenorden der Welt.

Vinzenz von Paul, geboren am 24. April 1581 in Pouy, dem heutigen St. Vincent de Paul, war als junger Mann in erster Linie an einem sicheren Posten als Pfarrer auf dem Lande interessiert und wurde im Jahr 1600 im Alter von nur 19 Jahren zum Priester geweiht. Vinzenz hatte damals nicht nur Probleme mit der persönlichen Demut, sondern auch mit Frauen. Zudem musste er einige Jahre der Glaubensfinsternis durchleiden, bis er durch die Entscheidung, sich den Kranken und Armen zuzuwenden, geistlichen Frieden und spirituelles Wachstum erlangte. Vorher aber widerfuhr ihm das grausame Schicksal, von nordafrikanischen Piraten entführt und in die Sklaverei nach Tunesien verkauft zu werden. Wir wissen wenig über diese Zeit, entweder sprach er nicht gerne darüber oder seine Aufzeichnungen dazu gingen verloren: 1789 wurde der größte Teil seines Nachlasses während der revolutionären Wirren zerstört.
Bekannt ist, dass einer seiner ersten Besitzer ein Alchemist war, in dessen Labor er wohl mithelfen musste und sich so einige Grundlagen der Alchemie aneignete. Sein letzter Herr war ein zum islamischen Glauben übergetretener Christ, der mit mehreren Frauen zusammenlebte. Vinzenz berührte das Herz einer dieser Frauen durch seine gewinnende, immer fröhliche und zuversichtliche Art, seinen frommen Gesang und sein heiteres Wesen. Das Unwahrscheinliche gelang: Er konnte den abgefallenen Christen re-konvertieren und trat mit ihm zusammen die abenteuerliche Flucht übers Meer nach Avignon an. Zurück in Paris wartete eine steile Karriere auf ihn: 1608 erhält er das Amt des Almosenverteilers von Margaretha von Valois und machte Bekanntschaft mit dem späteren Kardinal Pierre de Bérulle und dessen Priestergemeinschaft, die dieser nach dem Vorbild des heiligen Filip Neri als Oratorium gegründet hatte. 1612 überträgt man Vinzenz die Pfarrei von Clichy, eine kurze, aber bedeutende Phase seines Lebens, in der er seine Berufung als Priester entdeckt und diesen Dienst nicht mehr nur als bequeme Einkommensquelle begreifen lernt. Schon ein Jahr später tritt Vinzenz eine Stelle als Hauslehrer bei der adligen Familie de Gondi an, der er auch als Pfarrer von Châtillon-les-Dombes verbunden bleiben wird. In dieser Pfarre zündet auch der Funke, der später ganz Frankreich umwälzen wird: Auf die erschütternde Nachricht, dass im Dorf eine ganze Familie schwer erkrankt sei, hält er eine aufrüttelnde Predigt, die unvermittelt ihre segensreiche Wirkung zeitigt: Die ganze Gemeinde ist jetzt auf den Beinen, um Decken, Medizin, Nahrungsmittel und frische Wäsche zu den Kranken zu bringen. Es schlägt die Stunde der Gründung der ersten Charité-Gemeinschaft. Ein Jahr später, 1618, kommt es zu der denkwürdigen und segensreichen Begegnung mit Franz von Sales in Paris. Vinzenz ist so beeindruckt von der Vollkommenheit dieses Mannes, dass er später als Zeuge beim Seligsprechungsprozess aussagt: „Ich sah in ihm den Menschen, der am besten den Sohn Gottes auf Erden nachahmte … Seine Sanftmut und Güte griffen auf jene über, die die Gunst seiner Gespräche erfahren durften, und ich zählte mich zu diesen.“ Doch es gab noch ein weiteres, einschneidendes Ereignis, das dieses Jahr prägte: Wenn Papst Franziskus vom „Hinausgehen in die existentiellen Randgebiete“ spricht, das in der Kirche des 21. Jahrhundert mehr als notwendig geworden sei, dann hat der heilige Vinzenz diesen Imperativ schon vor vier Jahrhunderten verstanden und in die Tat umgesetzt.
Nicht nur, dass er zu den Kranken, den Leprösen, sogar den „Irrsinnigen“ ging, die unter verheerenden Bedingungen vor sich hin vegetierten, um ihnen ihr Leben zu erleichtern und sie geistlich zu betreuen, er kümmerte sich auch um die Verfemten: Das Familienoberhaupt der de Gondis war zugleich der General der Galeeren. So machte Vinzenz Bekanntschaft mit dem verzweifelten und menschenunwürdigen Los derjenigen, die zwar einer Hinrichtung, und somit einem schnellen Tode entgingen, doch dafür langsam und fast unentrinnbar auf den Ruderbänken der Galeeren krepierten. Die Zustände dort waren derart unerträglich, dass manch Historiker heute von „schwimmenden Konzentrationslagern“ des 17. Jahrhundert spricht. Vinzenz besuchte regelmäßig Galeerensklaven in Paris und wurde 1619 offiziell zum Galeerenseelsorger ernannt.
Neben all diesen Aufgaben vergaß er auch nicht die geistlich Armen, die Landbevölkerung, die von einem verlotterten Klerus vernachlässigt worden war. Um in diese Randgebiete vorzustoßen, gründete er die Kongregation der Mission, deren Priester sich dazu verpflichteten, in der Gemeinschaft zu leben und ohne Entgelt oder Wahrnehmungen eines kirchlichen Amtes auf dem Lande predigten und Beichte hörten, sowie den Galeerensklaven, die Vinzenz mittlerweile besonders am Herzen lagen, Beistand leisteten. Sie hatten einen solchen Erfolg mit ihren Missionen, dass in einer einzigen Pfarrei insgesamt 5000 Menschen die Generalbeichte ablegten. In zahlreichen Regionen, in denen noch die Blutrache herrschte wie in Italien oder Korsika, konnten diese Priester Frieden und Versöhnung stiften.
1625, das Jahr der Gründung der „Lazaristen“ oder „Vinzentiner“ war auch das Jahr, in dem er die Seelenführung von Louise de Marillac übernahm. Sie war am 12. August 1591 als uneheliche Tochter des Louis de Marillac zu Welt gekommen, der einer einflussreichen Familie entstammte. Obwohl ihr Vater sie anerkannte, wurde sie im Hause de Marillac nicht gerne gesehen und schon früh zur Erziehung in das Dominikanerinnenkloster von Poissy gegeben, wo sie eine für die damalige Zeit hervorragende Ausbildung erhielt. Louises war nicht nur hochbegabt, sie war auch äußerst sensibel und die Ablehnung ihres Vaters, der sie zwar innig liebte, aber sich nicht gegen seine damalige Ehefrau durchsetzen konnte, hat sie zutiefst geprägt. Es liegt auf der Hand, dass eine solche verletzte und verstoßene Seele Probleme damit haben könnte, an einen gütigen und barmherzigen, einen bedingungslos liebenden Vater-Gott zu glauben.
Hans Kühner schreibt über sie: „Hochbegabt als Dichterin, Malerin, Übersetzerin von Bußpsalmen und Kommentaren zum Hohelied, war Louise de Marillac von religiösen Skrupeln erfüllt, derer keiner der klugen Köpfe, die sie berieten, Herr zu werden vermochten und die auch Vinzenz noch oft Sorge, sogar wirklichen Ärger bereiten sollten.“
Nach dem Tode ihres Vaters gibt man sie zur Vervollkommnung ihrer Ausbildung in eine Art Mädchenpensionat, deren Leiterin sie fortan in der Haushaltsführung beisteht. Die körperliche Arbeit in Küche und Keller, in der Wartung der Zimmer, das Anfertigen von Handarbeiten, durch deren Verkauf sie die wirtschaftliche Situation des Internats aufbessern kann, tun ihr gut. Dort fasst sie auch den Entschluss, Kapuzinerin zu werden und gottgefälliges Leben in Armut, Demut, Gehorsam, angefüllt mit harter Arbeit zu führen. Doch man hält sie dort nicht für geeignet und so erfährt sie einmal mehr in ihrem jungen Leben die Schmerzen des Abgelehntseins durch andere Menschen. Im Jahr darauf verheiratet man sie mit Antoine Le Gras, der zwar das vornehme Amt des Sekretärs der Königinmutter Maria de Medici versieht und recht wohlhabend ist, jedoch von niederer Abkunft. Trotz ihrer Pflichten als Hausfrau und Mutter eines Sohnes führt sie ihr streng geregeltes geistliches Leben fort. Sie betet nicht nur, pflegt Andachten und geistliche Betrachtung, sondern geißelt sich auch und trägt einen Bußgürtel.
Eine der ersten Maßnahmen, die Vinzenz ergreift, nachdem er 1624 ihr Seelenführer geworden ist, ist die Dämpfung ihres religiösen Übereifers: Er erlaubt ihr nur noch wenige Male in der Woche die Geißelung und befiehlt ihr, einen weniger schartigen Bußgürtel zu tragen. Ein Jahr zuvor ist ihr Mann schwer erkrankt – sie gibt sich und ihren angeblichen Sünden, auf die sie äußerst fixiert ist, die Schuld daran und ist überzeugt, es handle sich um eine Strafe Gottes.
Nach dem Tode ihres Mannes am 21.12.1625 will sie einerseits geistliche Gelübde ablegen, ist aber gleichzeitig noch nicht sicher, worin ihre Berufung besteht, an welchem Platz Gott sie haben will. Nach den ersten Besuchen der von Vinzenz ins Leben gerufenen Charité-Gruppen im Jahre 1629 nimmt der Plan Gottes mit ihr schärfere Konturen an. Sie erweist sich als einfühlsame Visitatorin, begabte Organisatorin und Vermittlerin bei Problemen mit den örtlichen Autoritäten und den Frauen untereinander – und sie hat das notwendige rhetorische Feuer und die mitreißende Überzeugungskraft, um in kurzer Zeit zahlreiche neue Ortsgruppen ins Leben zu rufen. Vinzenz ist begeistert, er nennt sie die „starke Frau“ aus dem Buch der Sprüche, „wertvoller als viele Juwelen“, und er weiß, dass er ihr sein Werk anvertrauen kann: Die Gründung der Barmherzigen Schwestern.
1633 nehmen sie die ersten Postulantinnen auf. Einen Orden, der solcherart in der Welt behaust war, – die Losung lautete in Anspielung auf die fehlende Klausur der Barmherzigen Schwestern „Gott verlassen um Gottes Willen“- hatte es zuvor noch niemals gegeben. Vinzenz beschreibt es den Frauen so: Ihr habt „als Kloster nur die Häuser der Kranken, als Zelle nur ein gemietetes Zimmer, als Kapelle die Pfarrkirche, als Kreuzgang die Straßen der Stadt oder die Säle der Hospitäler, als Klausur den Gehorsam, als Chorgitter die Gottesfurcht und als Schleier die heilige Bescheidenheit.“
Bis zum Jahre 1640 wird es mehr als vierzig Neugründungen der Barmherzigen Schwestern geben. Sie übernehmen die Sorge für Findelkinder, um die sich damals niemand scherte. Innerhalb von 6 Jahren nehmen die Schwestern 1.200 Findelkinder auf und retten diese kleinen Seelen vor einem Leben in Elend, Not und vor einem frühen und grausamen Tod. Sie geben den Armen zu essen, alleine in der Pariser St. Paulus Pfarrei teilen eine Handvoll Schwestern täglich an 5.000 Bedürftige Suppe aus. Sie lindern das Leid der Patienten in den Krankenhäusern, die zusammengepfercht unter unvorstellbaren Bedingungen in ihren eigenen Exkrementen, in Blut und Eiter liegen. Sie gründen ein eigenes Spital für Bettler und versorgen die Galeerensklaven. Dabei leiden sie unter böswilligen Verleumdungen, werden zu Kriegsopfern und stecken sich bei der selbstlosen Pflege von Pestkranken an. Doch nicht einmal die „Fronde“, der Bürgerkrieg, der von 1648 bis 1653 tobt, kann die ungeheuerliche Wucht dieser Frauen-Bewegung, die glüht vor Hingabe und Liebe an den gekreuzigten Jesus und an die Armen, das Erbteil seiner Kirche, aufhalten.
Louise und Vinzenz halten täglich Kontakt, wenn nicht in der persönlichen Begegnung, so durch Briefe, bis zu ihrem Tod am 15. März 1660. Vinzenz wird noch an einer Konferenz über die Tugenden seiner geistlichen Tochter, die ihm vielmehr eine getreue Partnerin war, teilnehmen und im gleichen Jahr, am 27. September, selbst zum Vater heimgehen. In der Beschäftigung mit dem Leben dieser beiden Heiligen und ihrer Spiritualität gewinnt das manchmal etwas abstrakt klingende Papstwort vom „Hinausgehen in die Peripherien“ Fleisch und Blut, Bedeutung und Leben.

September 27, 2017   No Comments

40 Jahre Erstürmung Landshut – Geiselbefreiung

Die Bild-Zeitung lese ich mitunter manchmal ganz gerne deshalb, weil es die schnellste, kürzeste, bündigste und somit schmerzloseste Art ist, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Man hat praktisch zum Tage das Ende mit Schrecken anstatt den Schrecken ohne Ende.
Manchmal bringen sie auch ganz originelle Sachen, so wie heute, wo sie mit einem GSG9-Veteranen, heute 70 (knackig-fittes Aussehen, tolles Foto), zum Wrack der Landshut flogen, an deren Befreiung – Operation „Feuerzauber“ – der Veteran damals im Alter von knackigen 30 Jahren (tolles Foto) beteiligt war.
Große Zeile von Bild, dass er mit dem Schrei: „Köpfe runter! Wo sind die Schweine?“ reinstürmte.

Abgesehen davon, dass mir tatsächlich nicht klar war, dass man beim Erstürmen einer Maschine ein solches Geschrei veranstaltet – ich dachte immer, die bewegen sich wie die Nachtkatzen? Aber womöglich war es taktisch geschickt, ein bisschen Krawall zu machen, sie hatten das in weniger als zehn Minuten durch…. – dachte ich daran, was Frau Künast und et al. heutzutage da eventuell womöglich für eine mächtige Sorge hätten, weil man mit den Terroristen so rüde umgesprungen wäre, noch dazu sie derart beschimpft hätte. Das geht einfach nicht, und dann sind die auch noch eigentlich fast alle umgekommen.

Im Ernst jetzt. Wäre ich als Passagierin in der Landshut gesessen und hätte überlebt, würde ich heute noch jedem Mitglied der damaligen GSG9 Truppe zum Jahrestag eine Kiste Cognac und Zigarren schicken.

September 15, 2017   No Comments

Zum 50. Todestag von Adrienne von Speyr am 17. September 2017

Mein Artikel aus der Rubrik „Geistliche Paare“ über Hans-Urs von Balthasar und Adrienne von Speyr, der im Oktoberheft 2016 des Vatican-Magazins erschienen ist:

Das letzte Universalgenie der abendländischen Geschichte hat man ihn genannt, mit einem Werk, das – mit den Worten Egon Bisers – als ein „herrliches Gebirgsmassiv“ dasteht: Den gebürtigen Luzerner Hans-Urs von Balthasar, der erst auf Umwegen zur Theologie kam. Zunächst studierte der Jesuitenzögling ab 1923 Germanistik und Philosophie und promovierte 1928 mit summa cum laude über die „Geschichte des eschatologischen Problems in der modernen deutschen Literatur“.
Die Literatur, vor allem das Theater, wird später, nach seinem zweiten Studium der Theologie, dem er sich Anfang der Dreißiger Jahre widmet, – er ist zu diesem Zeitpunkt schon in die Gesellschaft Jesu eingetreten –, für die Entfaltung seiner theologischen Hauptwerke ebenso wie die Musik eine fundamentale Rolle spielen. Vor allem Mozart begeistert ihn als seinen „unverrückbaren Polarstern“ – und es wird dazu kommen, dass er alle Partituren und alle Aufzeichnungen von Mozartstücken wegschenkt, weil er sie so verinnerlicht mit sich trägt, dass er diese Äußerlichkeiten nicht mehr braucht.
Zwei Jahre lang war er Redakteur der Zeitschrift seines Ordens, der „Stimme der Zeit“, ab 1940 dann an der Universität Basel als Seelsorger für Studenten und Akademiker tätig. Dort lernte er auch im selben Jahr Adrienne von Speyr kennen, die Ehefrau eines Dozenten, welche bei ihm die Vorbereitung auf den Eintritt in die katholische Kirche, ihr Katechumenat, absolvieren wollte.
Die nur wenige Jahre ältere Adrienne wuchs in der protestantischen Familie eines Basler Augenarztes auf, dessen Vorbild sie nacheifern und Ärztin werden wollte. Seit frühester Kindheit befand sie sich im Dialog mit einem Engel, mit sechs Jahren begegnet ihr in einer Schauung zum ersten Mal Ignatius von Loyola, was ihr erst im Nachhinein bewusst wird. Als junges Mädchen, sie hat gerade ihren 15. Geburtstag gefeiert, in den umliegenden Ländern tobt der Erste Weltkrieg und im fernen Fatima ist drei Hirtenkindern die Muttergottes erschienen, haben gerade Tausende von Menschen ein Sonnenwunder dort erlebt und bezeugt, sieht Adrienne zum ersten Mal die Jungfrau Maria, umgeben von einer Unzahl von Heiligen und Engeln. Gleichzeitig fühlt sie ein immer unstillbarer werdendes Bedürfnis nach der sakramentalen Beichte in sich aufwachsen. Dass dies alles recht ungewöhnlich für ein protestantisches Mädchen ist, bemerkt sie freilich selbst.
Nach außen hin wirkt sie anziehend und lebensfroh, ist erfolgreich in der Schule und später beim Studium, beliebt bei ihren Kameraden und Kommilitonen. Die größte Hürde, die sie während dieser Zeit zu nehmen hat, neben dem beharrlichen Widerstand ihrer Mutter gegen ihren Berufswunsch, ist vermutlich der Abscheu vor dem Seziersaal. Doch mit Hilfe ihres tiefen Glaubens kann sie auch diese überwinden, in dem sie unablässig für die Seelen der Toten, die sie sezieren muss, betet.

Nach dem Abschluss ihres Studiums scheint zunächst alles gut zu gehen, sie eröffnet eine eigene Praxis, in der sie arme Menschen auch umsonst behandelt und heiratet 1934 den Historiker Emil Dürr, dessen plötzlicher Tod sie nur schwer verkraftet. Zwei Jahre später folgt ihre zweite Heirat mit seinem Nachfolger Werner Kaegi, ebenfalls Geschichtsprofessor in Basel. Doch der Tod ihres ersten Mannes ist nur äußerlich überwunden, innen bricht sich bei dieser merkwürdigen protestantischen Mystikerin eine spirituelle Krise Bahn, die sich in einer schweren Herzattacke somatisiert.
Kurz danach kommt es zur ersten Begegnung mit von Balthasar. Er schreibt: „Gegen Herbst 1940 (ich war zu Beginn des Jahres als Studentenseelsorger nach Basel gekommen), nachdem Adrienne von einer schweren Herzattacke aus dem Spital zurückgekehrt war, sprachen wir auf der Terrasse über dem Rhein – ein gemeinsamer Freund hatte die Begegnung vermittelt – über die katholischen Dichter Claudel und Péguy, die ich eben übersetzte. Ihren Mut zusammenraffend erklärte sie mir, sie möchte auch katholisch werden. Bald darauf sprachen wir über ihr Gebet (…)“
Adrienne vertraut dem priesterlichen Freund, der schließlich zu ihrem Seelenführer und geistlichen Gefährten werden wird an, dass es ihr seit einiger Zeit unmöglich sei, das Vaterunser zu beten, ein Gebet, das sie bis zu dem Tode ihres ersten Mannes sehr geliebt habe – und zwar wegen der Zeile „Dein Wille geschehe“!
Von Balthasar legt ihr diese Bitte aus dem Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, so verständig aus, dass es ihm scheint, als hätte er einen Schalter in seiner Gesprächspartnerin umgelegt:“(….) als hätte ich unversehens auf einen elektrischen Knopf gedrückt, der auf einen Schlag alle Lichter im Saal entzündete. Adrienne war von allem Hemmenden losgekettet, ihr Gebet begann sie wie lang aufgestaute Fluten fortzureißen. Im Unterricht verstand sie alles sofort, als hätte sie nur – und wie lang! – darauf gewartet, gerade dies zu hören, um es zu bejahen. Sie wurde am Fest Allerheiligen getauft (…)“
Tatsächlich hatte Adrienne zu allen Heiligen einen besonderen Bezug, oft „schaute“ sie deren Gebetshaltungen und -weisen. Hinzu kamen kurz nach ihrer Taufe immer mehr Passionen, in denen sie das Leiden Jesu durchlitt, sie die Stigmata vorübergehend empfing und deren Höhepunkt stets in der „Karsamstagserfahrung“ gipfelte. Von Balthasar begann sie während ihrer Schauungen ab 1943 eine Einführung in das Johannesevangelium“ zu diktieren – seine Theologie wurde zunehmend und derart von Adrienne beeinflusst, dass immer mehr Kollegen ihr Befremden und ihre Irritation über die Tatsache äußerten, dass von Balthasar zudem auch noch gemeinsam mit dem Ehepaar von Speyr-Kaegi unter einem Dach lebte, immerhin 15 Jahre von den insgesamt 27 Jahren der gemeinsamen Arbeit. Insbesondere seine Ordensoberen fühlten sich von dieser Beziehung derart skandalisiert, dass sie ihn vor die Entscheidung stellten, entweder die Zusammenarbeit mit Adrienne weiterzuführen und den Orden zu verlassen oder im Gehorsam gegenüber seinen Gelübden die Verbindung zu Adrienne abzubrechen. Mittlerweile nimmt auch der Bischof an ihm Anstoß. Selbst gute Freunde halten Adriennes Schauungen für illusorisch, für eingebildete Zustände und einen „holier than thou“-Größenwahn, den der Theologe teile und unterstütze.
Doch für von Balthasar ist glasklar, dass es sich hier um einen göttlichen Auftrag handle, den er mit Adrienne zu erfüllen hat: Zunächst gründen sie fünf Jahre nach ihrem ersten Treffen die Johannesgemeinschaft, ein Säkularinstitut zunächst für Frauen; Johannes war Adriennes Lieblingsheiliger und sie hatte einen besonderen Bezug zu ihm. Er wird später in den 80er Jahren diese Mission in dem Büchlein „Unser Auftrag“ genauer beschreiben, um, wie er sagt „zu verhindern, dass nach meinem Tod der Versuch unternommen wird, mein Werk von dem Adriennes von Speyr zu trennen.“ In dieser Zeit entsteht dann auch der Priesterzweig dieser Gemeinschaft.
Der Austritt aus dem Orden, den er immer als geistige Heirat betrachtet hatte, ist ihm sehr schwer gefallen, doch seine Überzeugung, Gott gehorsamer sein zu müssen als seinen Ordensoberen war unverrückbar und wurde von Adrienne gestützt – gegen eine Seherin, die ungezwungen Umgang mit dem heiligen Ignatius von Loyola pflegte, hatte die Gesellschaft Jesu einfach die schlechteren Karten. 1952 erscheint sein Werk „Die Schleifung der Bastionen“, das wie ein Befreiungsschlag wirkte, ein persönlicher ebenso wie einer innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft.

Bei aller verständlichen Skepsis gegenüber Adriennes Zuständen: Es handelt sich um ein kirchliches Erfolgsmodell, weibliche Prophetie mit männlichem Intellekt und Seelenführerschaft zu verbinden: Angefangen von Hildegard von Bingen und ihrem Volmar über Angela von Foligno und ihren Seelenführer Arnaldo, Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz, Franz von Sales und Jeanne de Chantal bis hin zu Anna Katharina Emmerick und Clemens Brentano. Doch die Kirche befand sich mittlerweile in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und war zu „aufgeklärt“ für diese Form gemeinsamer Berufung. Von Balthasar hatte sich nach dem Tode Adriennes – zu diesem Zeitpunkt liegen bereits 34 ihrer Bücher in Druckform vor – viele Gedanken über dieses Thema gemacht und sich dabei von dem innerkirchlich immer noch umstrittenen Teilhard de Chardin inspirieren lassen, der die „männlichen und weiblichen Teile der Natur“ als vereinigte Paare zu Gott aufsteigen sah. Hans Urs von Balthasar schreibt 1977 von den paarweise Berufenen, dass sie „zwei in einem Rufe“ seien, für die gelte, was auch über die natürliche Verbindung zwischen Mann und Frau geschrieben steht: „Was Gott vereint hat, darf der Mensch nicht trennen.“
Der Jahrhunderttheologe und Mozartliebhaber Joseph Ratzinger, der, was die Herrlichkeit und Weite seines Werkes betrifft, wohl Hans Urs von Balthasar auf Augenhöhe begegnet – und mit ihm gemeinsam u.a. die Zeitschrift „Communio“ begründete, hat es in einem 1999 gegebenen Interview wie folgt trefflich beschrieben:
„Hans Urs von Balthasar ist undenkbar ohne Adrienne von Speyr. Ich glaube, man könnte bei allen wirklich großen theologischen Gestalten zeigen, dass neue theologische Aufbrüche nur dann ermöglicht werden, wenn zuerst ein prophetischer Durchbruch da ist. (…) die eigentlichen Durchbrüche, in denen dann wieder große Theologie neu entsteht, kommen nicht einfach aus dem rationalen Geschäft der Theologie, sondern aus einem charismatischen, prophetischen Anstoß heraus. (…) Die Theologie als wissenschaftliche Theologie im strengen Sinne ist nicht prophetisch, aber sie wird nur wirklich lebendige Theologie, wenn sie von einem prophetischen Impuls angeschoben und erleuchtet ist.“

Von Balthasars Tod erfolgt schließlich unter ähnlich signifikanten Umständen wie derjenige Adriennes, die am Tag der heiligen Hildegard von Bingen, einer Ärztin und Seherin, wie sie selbst eine war im Jahre 1967 starb. Der Ex-Jesuit und Theologe, der niemals einen Lehrstuhl innehatte, der große Universalgelehrte und Literaturliebhaber, den niemand zum Zweiten Vatikanischen Konzil als Berater eingeladen hatte, er sollte eine – wahrscheinlich die größte Ehrung erhalten, die ein Papst vergeben kann: Der polnische Papst, selbst ein großer Frauenfreund und überzeugt von der Dualität und Komplementarität der Berufungen von Mann und Frau in der Kirche, ernannte ihn zum Kardinal, zu einem Prinzen der Kirche. Doch nur zwei Tage vor der Kreiierungszeremonie verstarb von Balthasar schicksalhaft am 26. Juni 1988 in Basel, knapp 20 Jahre nach Adrienne. Aufgabe der Nachwelt könnte es sein, immer neu zu versuchen, deren Werk und das von Balthasars in Synthese und kongruent zu rezipieren und so abschließend zur Vollendung zu bringen.

September 15, 2017   1 Comment

Santorins Kirchenkuppeln ohne Kreuze – ein Service von LIDL

Der Vorfall ist für die einen nicht weiter bemerkenswert – obwohl ich meine, es ist eben doch wichtig, ob ich nun die Realität verfälscht darstelle, noch dazu, um ein Produkt zu verkaufen, oder nicht. Natürlich sehen die Frauen auf den Ferraris, die sich dort räkeln, in natura auch nie 100prozentig so aus, wie auf den Bildern.
Allerdings handelt es sich eben um Santorin, einer griechischen Insel, die nicht nur enorm schön ist, sondern auch seit den Zeiten des Apostels Paulus eine christlich-orthodoxe Kultur pflegt, lebt und hochhält, die sich in rein gar nichts vor den kulturellen Errungenschaften der Griechen für die gesamte Welt aus antiker heidnischer Zeit verstecken muss.

Ich hatte dazu heute in „Die Tagespost“ in der Rubrik „Aus aller Welt“ einen Beitrag abgeliefert, nachzulesen unter diesem Link.

Mittlerweile hat das Schietstörmchen von Belgien aus nicht nur Deutschland und Österreich erreicht, sondern auch ausgerechnet den traditionell atheistischsten Staat Europas – das kleine Tschechien. Die Tschechen mögen vielleicht mit der Religion nicht so viel am Hut haben (wie vergleichsweise die Slowaken), aber sie sind ein ziemlich aufmüpfiges Völkchen – und da sie gerne Urlaub in Griechenland machen, wie wir Deutsche ja auch, seit die Türkei sich dank Erdogan ja ins urlaubstechnische Aus geschossen hat, durchaus auch solidarisch mit den nun beleidigten Griechen, die allerdings völlig zu Recht nicht einsehen wollen, warum man mit ihren landschaftlichen Panoramen Werbung machen und Geld verdienen will, dafür aber Kreuze von Gebäuden wegretuschiert, die zwar da hingehören, aber eventuell wiederum den alten Kunden aus Ex-Kleinasien und den neuen Kunden aus Syrien und Nordafrika, die noch nicht so lange hier leben, stinken könnten. Wärend die Mitteleuropäer ebenso „religiös neutral“ inkulturiert wie die Werbeabteilung bei LIDL, stünde in Deutschland, Frankreich, Belgien, Schweiz und so weiter keine einzige Moschee mit einer Halbmondabbildung drauf.
Jetzt geht es ins Spekulative, wenn ich mir ausmale, wie gerade die verantwortlichen Entscheider für diesen orwellianisch zu nennenden Eingriff in die authentische kulturelle Landschaft von Santorin sich teure Urlaube auf, nehmen wir einfach mal, Bali gönnen, und dort begeistert über Swastikas, Hindutempel, religiöse Feiern und enorm beeindruckende authentische Tradition und Kultur dann ihren lieben Zuhausgebliebenen berichten.

September 5, 2017   No Comments