In memoriam Fritz Michael Gerlich
Heute ist der 80. Todestag des merkwürdig ignorierten und in Vergessenheit geratenen journalistischen Widerstandskämpfers Fritz Michael Gerlich.
Die KNA hat dazu einen Beitrag gebracht.
Zum Anlass seines 130. Geburtstags erschien mein Porträt des mutigen Journalisten und seiner spirituellen Mutter, Therese von Konnersreuth, im Vatican Magazin Februar 2013 unter dem Titel „Gottes Kampfsau und Jesu Seherin“:
Im Frühsommer 2010 war Fritz Michael Gerlich als „Das furchtlose Rauhbein“ Titelthema dieses Magazins. In Form eines Gesprächs mit dem Historiker Rudolf Morsey würdigte es das journalistische Schaffen eines Mannes, welcher der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist. Es sollte ein kleines Plädoyer für die Seligsprechung einer markanten Persönlichkeit des katholischen Widerstandes sein, die in der offiziellen Geschichtsschreibung leider häufig vernachlässigt wird: Am 15. Februar dieses Jahres würde Fritz Michael Gerlich, der im Jahre 1883 in Stettin als ältester Sohn eines Fischhändlers geboren wurde, seinen 130. Geburtstag feiern.
Wie wir sehen werden, war Gerlich schon Anfang der Zwanziger Jahre ein entschiedener Gegner Hitlers und seiner Anhängerschaft. Aber erst die Begegnung mit Therese Neumann und dem Konnersreuther Kreis, einer Zelle des katholischen Widerstands, seine darauf folgende Konversion und die Gründung der katholischen Wochenzeitung „Der gerade Weg“, in der er vehement gegen Hitler anschrieb, ließen ihn zu einem ernstzunehmenden politischen Feind werden. Nur wenige Monate nach der Machtergreifung im Januar 1933 wurde Gerlich dann auch verhaftet und seine Zeitung verboten. Als einer der ersten Märtyrer des deutschen Widerstands wurde er im KZ Dachau am 30. Juni 1934 ermordet.
Doch wie kam es eigentlich zu der schicksalhaften Begegnung mit Therese Neumann und dem Konnersreuther Kreis?
Am 3. August 1927 erschien in der Beilage „Die Einkehr“ der Münchner Neuesten Nachrichten ein ausführlicher Bericht von Erwein von Aretin, einem überzeugten Katholiken, worin er seine Erlebnisse anlässlich eines Besuch bei der Seherin Therese Neumann in Konnersreuth schildert.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Erstgeborene von elf Kindern einer Schneidersfamilie aus ärmlichen Verhältnissen kaum 30 Jahre alt und seit über einem Jahr an Händen, Füßen, Brust und Kopf stigmatisiert. Bereits im Alter von 14 Jahren verdingt sie sich als einfache Gehilfin und Magd, keine Arbeit ist ihr zu hart oder zu schmutzig. Daneben besitzt sie eine tiefe, im guten Sinne einfältige Frömmigkeit. Eigentlich von robuster Natur und zupackend, verunfallt sie im Jahre 1918 schwer, während sie bei Löscharbeiten an einem Scheunenbrand mithilft. Von diesem Zeitpunkt an beginnt ihr körperliches Leiden, gegen das sie sich zunächst aufbäumt. Therese will arbeiten, sie will sich nützlich machen, sie will weiterhin tüchtig sein. Doch all ihre tapferen Versuche, die Folgen dieses ersten Unfalls zu überwinden, weiterzuarbeiten, führen nur zu weiteren Unglücksfällen wie Stürzen von Leitern und Kellertreppen mit immer gravierenderen Folgen bis zum Eintritt der endgültigen Bettlägrigkeit und einer darauf folgenden rätselhaften Erblindung.
Fast vier Jahre lang liegt Therese leidend und blind auf ihrem Lager, bis sie am 29. April 1923, dem Tag der Seligsprechung der von ihr besonders verehrten Namenspatron Thérèse von Lisieux auf wunderbare Weise ihr Augenlicht zurück erhält. Das Los der Bettlägrigen wird damit nur ein wenig leichter, es folgen unerklärliche Lähmungen, Verrenkungen, eine Blinddarmentzündung, alles einhergehend mit furchtbaren Schmerzen – dazwischen wieder ebenso unerklärliche Heilungen.
Die Resl findet sich allmähich damit ab, dass sie der Heiland als „Sühneseele“ auserwählt hat und nimmt nun auch zu ihren eigenen Leiden diejenigen anderer, von denen sie erfährt, freiwillig und voll Gottvertrauen auf sich.
Ihre Schauungen gehen, wie bei vielen anderen Seherinnen, parallel zu den liturgischen Ereignissen des Kirchenjahres und beziehen sich nicht nur auf Jesus Christus oder die Heilige Familie, sondern auch auf Heilige wie den Apostel Johannes oder Franz von Sales, auf Begebenheiten wie die Steinigung des Stephanus oder die Stigmatisierung des heiligen Franziskus. Ostern 1926 empfängt sie selbst ihr erstes Stigma – es ist die Seitenwunde des Herrn -, das sie zunächst verborgen hält. Im Verlauf dieses Jahr kommen Stigmata an Händen und Füßen hinzu, im November fängt ihr Kopf an zu bluten; geradeso, als trüge sie eine Dornenkrone.
In ihren Ekstasen spricht sie, eine einfache Bauernmagd, teils in aramäischer Sprache.
Es heißt, dass Therese, die schon im Zusammenhang mit ihrem ersten Unfall kaum feste Nahrung bei sich behalten konnte, sich ausschließlich von der Heiligen Kommunion ernährt.
Der Rummel um ihre Person nimmt zu, nach Konnersreuth kommen nicht nur Gläubige, die geistliche Ermutigung suchen, sondern auch Scharen von Neugierigen und Zweiflern. In Zeitungen wie Zeitschriften findet das Phänomen Konnersreuth breite Beachtung, doch die Berichterstatter sprechen recht einmütig von einem hysterischen Phänomen oder schlichtem Schwindel. Kirchenfeindliche Kreise wollen die junge Frau am liebsten interniert sehen. Das öffentliche Interesse an dem Fall ist enorm hoch und der Bericht Erwein von Aretins für die Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten musste viermal nachgedruckt werden und wurde in 32 Sprachen übersetzt.
Auch Fritz Gerlich, der Chef von Aretins, welcher aus einer calvinistisch geprägten Familie stammt, lassen die Schilderungen seines Mitarbeiters nicht los. Er ist überzeugt davon, dass es sich hier um einen groß angelegten Schwindel handle und fühlt sich berufen, Therese Neumann als Betrügerin auffliegen zu lassen. Im September 1927 fährt er deshalb selbst von München nach Konnersreuth, um eigene Beobachtungen, Befragungen und Untersuchungen anzustellen. Er wird dort drei Männern begegnen, welche später zusammen mit ihm den inneren Kern des Konnersreuther Kreises bilden und einen wesentlichen Einfluss auf seinen weiteren Lebensweg haben werden: Der Kapuzinerpater Ingbert Naab, Franz Xaver Wutz, einem Professor an der katholischen Universität Eichstätt sowie Fürst Erich von Waldburg-Zeil. Doch es geschieht noch weitaus mehr. Nicht nur, dass es Gerlich nicht gelingt, die Resl als Schwindlerin zu entlarven, die Begegnung wird vielmehr der äußere Anstoß für seine spätere Konversion zum katholischen Glauben.
Erwein von Aretin schreibt in seiner Biografie aus dem Jahre 1949 „Fritz Michael Gerlich. Ein Märtyrer unserer Zeit“ über dessen Konversionserlebnis in Konnersreuth: „Dieser rasche und tiefdringende Verstand hatte wie im Schein eines Blitzes die ernste Wirklichkeit vor sich aufleuchten sehen, neben der die Realität unseres irdischen Lebens nur wie ein Gleichnis ist, wie der Spiegel, von dem Paulus im Korintherbrief spricht, der gleiche Paulus, der Ähnliches vor Damaskus selbst erlebt haben mochte.“
Gerlich wird vom Eifer für die Echtheit der Schauungen und Stigmata der Resl ergriffen und widmet sich bereits vor seinem Eintritt in die katholische Kirche in den Jahren 1928 und 1929 in zwei umfangreichen Bänden zum einen der Biografie, zum anderen dem Plädoyer für die Wahrhaftigkeit der Ereignisse um die Seherin von Konnersreuth. Während der Phase vor seiner Taufe am 29. September 1931, bei der er seinen zweiten Vornamen „Michael“ erhält, wird er von Pater Ingbert Naab, geistlich begleitet. Pater Naab engagiert sich schon seit Jahren im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und findet in Gerlich einen glühenden Kampfgenossen. Seit dem gescheiterten Hitlerputsch am 9. November 1923 ist Gerlich nicht nur ein erbitterter Feind der Kommunisten, sondern auch der Nationalsozialisten. Der Journalist war nicht nur am Vorabend im Bürgerbräukeller anwesend, der von Hitler und seinen Anhängern gestürmt wurde, er hatte auch die Rede des bayerischen Generalstaatskommissars von Kahr mitverfasst. Ohnmächtig vor Wut musste er damals miterleben, wie die SA seine Redaktionsräume besetzten, um einen manipulierten Artikel zu den Ereignissen im Bürgerbräukeller in den Münchner Neuesten Nachrichten in Umlauf zu bringen.
1928, fünf Jahre später, verliert Gerlich seinen Posten bei der Zeitung, weshalb er sich, auch dank einer großzügigen Abfindung, seinem damaligen Hauptinteressengebiet Konnersreuth widmen kann.
Therese prophezeite jedoch, er werde nochmals als Journalist arbeiten – und sollte Recht behalten.
Zunächst übernimmt er die Chefredaktion des Illustrierten Sonntags, mit finanzieller Unterstützung des Fürsten von Waldburg-Zeil, der sowohl von Gerlichs journalistischen Fähigkeiten als auch von dem Mut, mit welchem er seine Überzeugungen vorträgt, beeindruckt ist.
Im Januar 1932 wird der Illustrierte Sonntag in „Der gerade Weg. Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht“ umbenannt. Für „Der gerade Weg“ schreiben auch Pater Ingbert Naab und Professor Wutz, doch die schärfste rhetorische Klinge führt Gerlich, der sich nicht scheut, die Nazi-Ideologie offen – und durchaus prophetisch – als „geistige Pest“ zu bezeichnen, die zu Massenmord und Blutbädern führen werde.
Bald gab es Beschwerden wegen Gerlichs derber und agressiver Polemik, vor allem, weil er mit seiner harschen Kritik auch nicht vor der katholischen Zentrumspartei halt machte. Schließlich nahm ihn der Münchner Kardinal von Faulhaber, der Gerlich auch gefirmt hatte, in Schutz: „Wenn Dr. Gerlich in der Form eine scharfe Klinge schlägt und zuweilen über die Schnur haut, auch am Zentrum und seinen Männern Kritik übt, so sind das eben Begleiterscheinungen, die im Kampf der Geister bei einem neu auf den Plan tretenden Kämpen immer wieder vorkommen werden. Als Katholik aber hat Dr. Gerlich die besten Absichten. Der hiesige Klerus ist begeistert, dass endlich auf katholischer Seite ein Mann aufgetreten ist, der den Gegnern die Stange hält, wenn er nicht, wie ihm angedroht wurde, durch Meuchelmord stumm gemacht wird.“ Genau das aber sollte sehr bald geschehen.
In allen Belangen, den geistlichen wie auch den geschäftlichen, stützten sich Chefredaktion und Mitarbeiter auf die Ratschläge der Seherin von Konnersreuth, die manchmal aus „Durchhalteparolen“ bestanden, manchmal auch sehr konkret waren. Er solle in der Schweiz bleiben und nicht zurückkehren, riet sie Gerlich einmal anlässlich einer Reise. Doch der ignorierte die Warnung mit dem Hinweis, er sei bereit, für das, was er schreibe, mit seinem Leben einzustehen.
Am 9. März 1933 erfolgte Gerlichs Verhaftung durch die SA, bei der er schwer misshandelt wurde, seine Zeitung wurde wenige Tage später verboten. Die Resl hatte die Ereignisse dieser Tage im fernen München von ihrem Krankenlager aus gesehen. Nach 16 Monaten zermürbender Haft – man gab Gerlich einmal eine Pistole mit der Aufforderung, sich selbst zu erschießen, um sich weitere Misshandlungen zu ersparen, war er immer noch ungebrochen: Die Aufforderung zum Suizid verweigerte er mit dem Hinweis auf seinen katholischen Glauben, der ihm dies verbiete.
Für den Märtyrer Fritz Michael Gerlich hat sich, glaubt man der Frau, die ihn zum wahren Glauben bekehrt hat und stets geistlichen Rat für ihn hatte, am Ende die Mühe des irdischen Lebens, die Drangsal, die Verhaftung, die Folter und der gewaltsame Tod in die ewige Glückseligkeit verwandelt.
Am Allerheiligentag 1934, nur wenige Monate nach seiner Ermordung, hat Therese die Seele Fritz Michaels Gerlich geborgen im ewigen Glanze himmlischer Herrlichkeit geschaut.
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