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Ich habe mir Dein Kreuz zu meinem Bett gemacht – Selige Angela da Foligno: Mystikerin und magistra theologorum

Überstrahlt vom Glanz des nur zwanzig Kilometer entfernten Assisi liegt das Städtchen Foligno brettflach an den Ufern des Flüsschens Topino, flankiert von üppig mit Olivenbäumen bewachsenen Hügeln. Einst von den Umbrern begründet, haben es die Römer 295 v. Chr. im Zuge der Schlacht von Sentinum erobert. Das antike Fulginium wurde zur Zeit des Römischen Reiches eine wichtige Station auf der Via Flaminia. Für die Christenheit hat der Ort schon früh große Bedeutung erlangt: der heilige Felitian, Bischof und Missionar der ganzen Region, erlitt dort im Jahre 249 das Martyrium – zuerst wurde er gefoltert, hernach von Pferden zu Tode geschleift. Um seine Grabstätte – die heutige Dom-Krypta – baute man im Mittelalter eine Befestigung und nannte den Ort Castrum Santi Felitiani.
Dass Foligno in der zweiten Hälfe des 13. Jahrhunderts als weiterer Brennpunkt franziskanischer Spiritualität in Umbrien Ruhm erlangte, ist der Seligen Angela zu verdanken.
Rund zwanzig Jahre nach dem Tode des poverello wurde Angela hier als Tochter wohlhabender Eltern geboren. Nur wenig weiß man von ihrem Leben vor ihrer Bekehrung. Dass sie ihren Vater früh verloren hat, sie bereits als junges Mädchen verheiratet wurde, sie ihre Kinder sehr geliebt haben muss. Rückschlüsse auf ihre damalige Lebensweise lässt eine Äußerung zu, die aus ihren Schriften überliefert ist: „Ihr sollt wissen, dass ich mich mein Leben lang bemüht habe herauszufinden, wie ich am besten verehrt und bewundert werden konnte.“ Vielleicht liegt darin die paradoxe Ursache, dass aus dieser eitlen und selbstverliebten Frau, die immer nur von anderen umschwärmt und angebetet werden wollte, eine solch glühende Mystikerin wurde, deren visionäre Erfahrungen, die durch harte Askese noch befördert wurden, sie an die Grenze dessen führten, was ein menschlicher Verstand, eine menschliche Seele an Gotteserfahrung noch ertragen kann – und manches Mal sogar darüber hinaus.
Doch zunächst wurden all ihre Versuche, ihr Leben zu ändern und sich zu bekehren, vereitelt. Nicht, dass sie nicht entschlossen genug gewesen wäre, allein, sie hatte eine Sünde begangen, die ihr so peinlich war, dass sie sich vor Scham und Selbstverachtung außerstande sah, sie einem Priester zu beichten. Angela tat das einzig Richtige, was man auch heute noch, sollte man sich diesem Problem ausgesetzt sehen, tun kann: Sie erflehte geistlichen Beistand vom Hl. Franziskus von Assisi und vertraute sich der vollständigen Barmherzigkeit Gottes an. Kurz darauf erschien ihr Franziskus im Traume und kündigte an, dass sie tags darauf einen guten Beichtvater finden werde, dem sie sich vollständig anvertrauen könne. So geschah es. Fra Arnaldo, ein Franziskanerpater und Verwandter Angelas, war von nun an ihr geistlicher Begleiter, was ihn anfänglich zu überfordern schien.
Einmal saß Angela unaufhörlich kreischend und laut schreiend vor dem Portal der Kirche des Hl. Franz in Assisi – ihre Schreie waren so durchdringend, dass schnell eine große Zahl von Franziskanerpatres zusammenlief, um zu sehen, was wohl Entsetzliches vor sich gehen möge. Fra Arnaldo kam ebenfalls dazu. In seinen Aufzeichnungen gibt er freimütig zu, dass er sich vor seinen Mitbrüdern maßlos schämte. Jeder wusste, dass diese Verrückte mit ihm verwandt war, ja mehr noch, dass er ihr Beichtvater war. Mit entwaffnender Ehrlichkeit schreibt er weiter, dass sein Erstaunen und sein Stolz zu groß waren, um zu Angela zu gehen und sie zu beruhigen, weshalb er peinlich berührt in einigem Abstand darauf wartete, dass die Schreierei endlich aufhören möge. Als dies endlich der Fall war, stand Angela auf, um ihrerseits zu Arnaldo gehen. Doch der konnte seine Wut kaum verbergen. Er verbot ihr, jemals wieder nach Assisi zu kommen und schärfte dies auch ausdrücklich ihren Begleitern ein. Als er sie ein paar Tage danach in Foligno besuchte und zur Rede stellte, erfährt er zum ersten Mal von ihren mystischen Erlebnissen und erkennt, dass sie vor dem Kirchportal nicht etwa vom Bösen besessen gewesen war, sondern eine Gotteserfahrung durchlebt hatte. Dies ist der Moment, in dem er beschließt, ihre Visionen und Erfahrungen zum Nutzen und Wohle der ganzen Kirche aufzuzeichnen.
Als innerhalb kurzer Zeit ihre Mutter, ihr Mann und ihre Kinder sterben, sieht sie das als Erhörung ihrer Gebete und Zeichen Gottes, dass sie sich nun ganz dem geistlichen Leben widmen solle. Im Jahre 1291 tritt sie in den Dritten Orden der Franziskaner ein.
Tatsächlich erlebte die Kirche insbesondere in den Jahren 1200 bis 1350 eine neue Hochblüte christlicher Mystik, doch Angelas Visionen und Gotteserfahrungen besitzen eine eigene, geradezu schockierende Qualität.
Über das Kreuz findet sie Zugang zur Passion Christi, die sie am eigenen Leib erleiden möchte. In Ekstase wirft sie sogar ihre Kleider vor dem Kruzifix ab, in ihrer inneren Schau steigt sie hinauf, sie legt ihre Lippen in die Seitenwunde und trinkt das göttliche Blut. Ihr Ausruf „Ich habe mir Dein Kreuz zu meinem Bett gemacht!“ ist nicht metaphorisch zu verstehen, sondern beschreibt eine konkrete Erfahrung ihrer Seele: In mystischer Verzückung liegt sie neben dem Gekreuzigten und erfährt die liebevolle Umarmung mit seiner durchgebohrten Hand. Ihre mystische Reise wird sie jedoch noch weit über das Kreuz hinausführen, über die Passion Christi und seinen Sühnetod zur Erfahrung Gottes, des allmächtigen Schöpfers, hin zur Verschmelzung mit der Heiligen Dreifaltigkeit und mit der gesamten sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung: „In dieser Offenbarung Gottes begreife ich und besitze ich jegliche Wahrheit, die da ist im Himmel und in der Hölle und in der ganzen Welt und in jeglichem Ding, und jegliche Freude, die im Himmel ist und in jeglicher Kreatur.“

Derweil unterzieht sie sich strenger Bußpraktiken bis hin zur extremen Selbstabtötung. Nicht nur das Trinken des Badewassers von Leprakranken gehörte dazu – fast schon usus ordinarius bei Asketen dieser Zeit -, auch das Brennen mit glühender Kohle an „drei bestimmten Stellen des Körpers“, um unreine Empfindungen abzutöten gehört dazu, bis Fra Arnaldo es ihr entsetzt verbietet. Immer weiter treibt sie ihre Selbsthingabe, bis zur völligen Auslöschung ihres Willens und in die vollständige Auflösung in die Wahrheit und All-Gegenwart Gottes. Sie erkennt „seine Weise, in jeder Kreatur gegenwärtig zu sein, in allem, was Dasein besitzt, im bösen Geist, im guten Engel, in der Hölle, im Paradies“ und ruft in tiefer Verzückung aus: „Die Welt geht schwanger von Gott!“

Trotz der Wucht ihrer mystischen Erfahrungen, den dazugehörigen Phasen vollständiger Gottesverdunkelung, in denen sie auch körperlich erkrankt, schafft sie es, eine lebendige Gemeinschaft von Schülern und geistigen Kindern um sich aufzubauen. Sie nennt es „Cenacolo“, Abendmahlssaal, eine Vereinigung von Männern und Frauen, Geistlichen wie Laien, die ihr religiöse Leben unter der Leitung von Angela vervollkommnen wollten und sich gleichzeitig auch der Pflege von Kranken, der Speisung von Bedürftigen und der Sorge um die Waisen widmeten.
Angela stirbt nach einer monatelangen Krankheit am 4. Januar 1309. Auf ihrem Sterbebett mahnt sie noch einmal ihre Freunde und geistigen Kinder: „Suchet klein und wahrhaftig, demütig und sanft zu sein.“ Der Kirche hinterlässt sie die beiden Schriften Memoriale – das bereit 1298 fertiggestellt war und in der franziskanischen Gemeinschaft kursierte – sowie die Instructiones.

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Innozenz XII. spricht sie im Jahre 1693 selig. Insbesondere Franz von Sales, Alfons Maria von Liquori und Papst Benedikt XIV. sollen von ihren Schriften beeinflusst worden sein, die Selige Angela bekommt später den Ehrentitel „magistra theologorum“ verliehen – Lehrmeisterin der Gottesgelehrten.
Am 20. Juni 1993 besuchte Papst Johannes Paul II. die Kirche San Francesco in Foligno, wo ihr gläserner Schrein zur Verehrung aufgestellt ist. Zu diesem Anlass hatte er eigenhändig ein besonderes Gebet verfasst, welches von der innigen Zuneigung zeugt, die der damalige Pontifex für die kleine Selige aus Foligno empfunden haben muss. Zuletzt würdigte sie Benedikt XVI. in seiner Katechesenreihe über heilige Frauen am 13. Oktober 2010.
Keiner könne Entschuldigungen vorgeben, da jeder Gott lieben kann, zitierte Benedikt XVI. die Selige Angela. Auf ihrem geistlichen Weg habe sich der Übergang von der Umkehr zur mystischen Erfahrung, das heißt zum Sagen dessen, was unsagbar ist, durch den Gekreuzigten vollzogen. Der Kern ihrer Lehre sei, sich mit Christus zu identifizieren, sich in ihn hineinzubegeben und sich in der Liebe und in den Leiden Christi verwandeln zu lassen.

Betrachtet man das Leben Angelas, ihre geistliche Wirkung durch die Zeit, die umgekehrt proportional zu ihrer allgemeinen Bekanntheit steht, dann erhält auch das Wort Jesu, das er einmal an sie gerichtet haben soll – „Ich habe dich nicht zum Scherz geliebt!“ – eine tiefere, eine vollkommenere Bedeutung.

Selige Angela von Foligno!
Große Wunder hat der Herr in dir vollbracht.
Mit dankbarer Seele schauen wir heute
und beten das geheime Mysterium der göttlichen Barmherzigkeit an,
die dich auf den Weg des Kreuzes geführt hat
und dich erhöhte zu Heldengröße und Heiligkeit.
Erhellt durch den Gehalt des Wortes,
geläutert vom Sakrament der Buße,
bist du zum leuchtenden Beispiel geworden
für die Tugenden des Evangeliums
eine weise Lehrerin der christlichen Erkenntnis
und sichere Führerin auf dem Weg zur Vollkommenheit.
Du weißt um die Traurigkeit der Sünde,
doch ebenso hast du die vollkommene Seligkeit der Vergebung Gottes erfahren.
Mit freundlichen Worten hat Christus
sich an dich gewandt,
er nannte dich „Tochter des Friedens“
und „Tochter der göttlichen Weisheit“.
Selige Angela, auf deine Fürsprache vertrauend
bitten wir um deine Hilfe
denn ehrlich und ausdauernd sei die Bekehrung desjenigen,
der auf deinen Pfaden wandelnd die Sünde verlässt
und sein Herz der göttlichen Gnade öffnet.
Gib, dass die jungen Menschen deine Nähe spüren,
führe sie hin zur Entdeckung ihrer Berufung
damit ihr Leben sich der Freude und der Liebe öffnen möge.
Unterstütze auch diejenigen, die müde, ohne Vertrauen und nur mit Mühe
ihren Weg gehen, beschwert von körperlichen und seelischen Schmerzen.
Sei ein leuchtendes Vorbild der Weiblichkeit im Sinne des Evangeliums
für jede Frau: für die Jungfrauen und Bräute, die Mütter und Witwen.
Das Licht Christi, das deinen schwierigen Lebensweg erhellt hat
erstrahle auch auf ihrem täglichen Weg.
Bitte zuletzt auch um Frieden für uns alle und für die ganze Welt.
Selige Angela, bitte für uns!

Gebet des heiligen Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Foligno

[Artikel zuerst erschienen in Vatican-Magazin November 2011]

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